Pressemitteilung Nr. 164 vom 14.07.2021 "PRO MERITIS SCIENTIAE ET LITTERARUM": Sibler: "Beeindruckendes Schaffen vier herausragender Persönlichkeiten"

Kunst- und Wissenschaftsminister Bernd Sibler verleiht Auszeichnung des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst an Dr. Camilla Rothe, Dr. Bernhard Spies, Rosemarie Tietze sowie Dr. Uwe Timm.

MÜNCHEN. Die Tropenmedizinerin Dr. Camilla Rothe, der ehemalige Geschäftsführer des Münchener Hauses der Kunst, Dr. Bernhard Spies, die Übersetzerin Rosemarie Tietze und der Schriftsteller Dr. Uwe Timm erhielten von Wissenschafts- und Kunstminister Bernd Sibler die Auszeichnung „PRO MERITIS SCIENTIAE ET LITTERARUM“ des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst. Kunst- und Wissenschaftsminister Bernd Sibler betonte gestern in München: „Ein Ziel dieser Ehrung ist es, dass Wissenschaft und Kunst als zwei Seiten derselben Medaille wahrgenommen werden. Diese Verbindung zu Kultur als Einheit wird beim Blick auf das beeindruckende Schaffen dieser vier herausragenden Persönlichkeiten auf sehr inspirierende Weise deutlich.“

Dr. Camilla Rothe

Durch eine bewundernswert aufmerksame Beobachtung entdeckte die Tropenmedizinerin Dr. Camilla Rothe Anfang 2020, dass das Corona-Virus auch von Personen ohne Symptome übertragen werden kann. Vom TIME Magazine wurde sie für diese Erkenntnis von enormer wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Relevanz zurecht zu einer der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten des Jahres 2020 gekürt.

„Als Tropenmedizinerin, die es bereits mit einem höchst infektiösen Erreger wie Ebola zu tun hatte, sind Sie es gewohnt, einen kühlen Kopf zu bewahren“, betonte Sibler in seiner Laudatio. „Und genauso besonnen haben Sie auch reagiert, nachdem Sie den Erreger Sars-CoV-2 erstmals bei einem deutschen Patienten identifiziert hatten.“

Denn Dr. Rothe machte ihre scharfsinnige Feststellung in einer frühen Phase der Pandemie durch einen Artikel im New England Journal of Medicine schnellstmöglich der Öffentlichkeit zugänglich. „Durch diese beeindruckend geistesgegenwärtige Reaktion haben Sie wesentlich dazu beigetragen, dass viel frühzeitiger Vorsichtsmaßnahmen gegen das Virus getroffen und damit Menschenleben gerettet wurden“, erklärte Sibler.

Und als ihre Beobachtung zunächst angezweifelt wurde, hatte Camilla Rothe den Mut, standfest an ihrer Erkenntnis festzuhalten. Diese hat inzwischen weltweite Akzeptanz erfahren. „Ihre Standhaftigkeit macht Sie zu einem Vorbild für viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Denn mutige Forscherinnen und Forscher, die sich nicht scheuen auch solche ‚unangenehmen‘ Wahrheiten zu verkünden, sind für den Diskurs in einer offenen Gesellschaft unerlässlich. Dies gilt generell, aber gerade in solchen Extremsituationen wie einer Pandemie“, stellte Sibler heraus.

Dr. Bernhard Spies

Im April 2018 übernahm Dr. Bernhard Spies die Aufgabe des Geschäftsführers der Stiftung Haus der Kunst gGmbH München, die er bis Februar 2020 innehatte, in äußerst schwierigen Zeiten. Er sah sich einer sehr angespannten finanziellen Lage, die eine interne Neustrukturierung erforderlich machte, und laufenden Gerichtsverfahren gegenüber. „Mit großem Engagement und ohne Rücksicht auf mögliche gesundheitliche Auswirkungen haben Sie dann den Fortbestand der Stiftung gesichert und diese wieder in ruhigeres Fahrwasser gesteuert“, betonte Sibler in seiner Laudatio. Spies erreichte, dass die Stiftung wirtschaftlich wieder konsolidiert ist und gerichtliche Prozesse abgewendet oder beendet wurden.

Dr. Spies‘ Nachfolger könnten sich nun „mit ihrer ganzen Aufmerksamkeit inhaltlichen Aufgabenstellungen und den laufenden Geschäften des Hauses der Kunst zuwenden“, erklärte Sibler und verwies angesichts hochkarätiger Ausstellungen spannender Künstlerinnen und Künstler auf die große Bedeutung der Einrichtung. „Sie haben nicht zuletzt einen zentralen Beitrag dazu geleistet, dass das Haus der Kunst optimistisch in die Zukunft schauen kann. Ich danke Ihnen ganz herzlich, dass uns dieses Angebot in Bayern und München erhalten bleibt.“

Herausforderungen gescheut hatte Spies auch vor seiner Zeit bei der Stiftung Haus der Kunst nicht. In einer ebenfalls schwierigen Situation leitete er von 2008 bis 2017 als Kaufmännischer Geschäftsführer gemeinsam mit dem Intendanten die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland. Erfahrungen aus dieser Tätigkeit flossen in einen von ihm mit erarbeiteten Leitfaden ein, der einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung der Museen in Richtung strategieorientierter Organisationen leistet. Außerdem beriet Spies Institutionen und Unternehmen und war neben anderen Tätigkeiten Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Rostock. „Ihre Expertise machte sich immer in Ihrer Tätigkeit bemerkbar“, sagte Sibler.

Rosemarie Tietze

„Sie sind eine der herausragenden Übersetzerinnen-Persönlichkeiten im deutsch­sprachigen Raum. Ihre Übersetzungen zeitgenössischer und klassischer russischer Literatur haben Maßstäbe gesetzt. Sie sind eine herausragende Persönlichkeit des literarischen Lebens der Bundesrepublik Deutschland“, betonte Sibler in seiner Laudatio für Rosemarie Tietze. „Mit Ihnen zeichnet das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst zum ersten Mal eine Vertreterin der Übersetzerzunft aus, ohne die uns der weitaus größte Teil der Weltliteratur verschlossen bliebe.“

Die Reihe der von Tietze übersetzten Werke wie die damit verbundenen Namen russischer Schriftstellerinnen und Schriftsteller ist lang und beeindruckend: Darin finden sich neben Werken von Fjodor Dostojewskij und Andrei Tarkowski Dramen von Vladimir Nabokov oder die hochgelobte Neuübertragung des Klassikers „Anna Karenina“ von Lew Tolstoi von 2009. Der zentrale Autor von Tietzes Werk­biografie ist Andrej Bitow. Tietze habe sich „in einem über das Übersetzen weit hinausgehenden Maße für die Vermittlung russischer Literatur eingesetzt“, sagte Sibler. Manche Autoren und Texte entdeckte Tietze bereits zur Zeit der Sowjetunion, aber auch in jüngerer Zeit überhaupt erst neu und empfahl deutschen Verlagen viele Übersetzungen mit Geduld und Beharrlichkeit erfolgreich. Darüber hinaus verfasste sie zahlreiche Aufsätze, Rezensionen und Rundfunksendungen zur russischen Literatur, und hielt Seminare, Lesungen, Vorträge ab.

Ganz besonders würdigte Sibler Tietzes mit Hartnäckigkeit und Überzeugungskraft erreichte Verdienste um die allgemeine Verbesserung der Übersetzungskultur in der Bundesrepublik. Als die folgenreichste von vielfältigen Aktivitäten, nicht zuletzt zur Förderung des Übersetzernachwuchses, hob er in diesem Zusammenhang Tietzes langjährige Tätigkeit als Prä­sidentin des von ihr mitbegründeten Deutschen Übersetzer­fonds, der ersten bundesweiten Förderinstitution für Übersetzer, hervor: „Wenn heute Übersetzerstipendien vergeben werden oder die Übersetzerin, der Übersetzer in Publikationen und Rezensionen genannt oder auch prominent her­vor­ge­­hoben werden, wenn die literarische Übersetzung in der Kunstförderung mitgedacht wird, dann ist das zum großen Teil Ihr Verdienst.“

Über all dies hinaus habe Rosemarie Tietze enorm viel dazu beigetragen, dass sich insgesamt ein neues Bild vom Übersetzen durchgesetzt hat: „Die Auffassung vom literarischen Übersetzer in der dienenden Rol­le als „Postkutschenpferd des Geistes“ – ich zitiere den Dichter Alexander Puschkin – ist der Vorstellung vom literarischen Übersetzer oder der Übersetzerin als Künstler, Künstlerin gewichen, der, die ein eigenes Oeuvre mit eigenem Fin­ger­ab­druck, einer eigenen Anschauung, mit einer wiedererkennbaren Handschrift geschaffen hat. Die literarische Übersetzung wird heute als eigene Kunst betrachtet.“

Dr. Uwe Timm

„Sie sind einer der bekanntesten und produktivsten Schriftsteller in Bayern und im deutschsprachigen Raum. Ihr Werk bildet in seiner Gesamtheit ein vielseitiges, sozial­kritisches Porträt der Entwicklung der deutschen Gesellschaft nach dem 2. Welt­krieg ab“, betonte Sibler in seiner Laudatio und hob die Vielschichtigkeit von Uwe Timms Schaffen hervor: „Die Auszeichnung „Pro Meritis Scientiae et Litterarum“ wird für Verdienste in Wissenschaft und Kunst verliehen. Ihr Werk zeichnet sich durch die Verbindung persönlicher Erfahrungen mit politischer Analyse aus, schlägt eine Brücke zwischen literarischer Erzählung und historisch-wissenschaftlicher Untersuchung.“

Bevor Timm nach einem Studium der Philosophie und Germanistik in München und Paris die Laufbahn als freier Schriftsteller einschlug, hatte er noch eine Kürschner-Ausbildung absolviert, um den väterlichen Betrieb zu übernehmen. Prägend für sein Werk wurde Timms Engagement in der Studentenbewegung von 1967 bis 1969 und die Auseinandersetzung mit dem Existentialismus. 1971 promovierte er mit einer Arbeit über den stark vom Existenzialismus beeinflussten Albert Camus.

„Die freie Entscheidung des Individuums für eine selbstbestimmte Stellung in der Welt jenseits von Erziehung und Sozialisierung, die radikale Diesseitsbejahung, ein Credo für Selbstverwirklichung, aber auch das politische Ideal einer gestaltbaren, freien Ge­sellschaft: All dies Überlegungen der Existenzialisten, an die Sie sowohl künstlerisch als auch wissenschaftlich anschließen konnten“, erklärte Sibler.

Von Beginn an vertrat Uwe Timm die Vorstellung einer engagierten Literatur. Die Erfahrungen der Studentenbewegung prägen eine Reihe seiner Werke „Der Freund und der Fremde“ (2005) thematisiert Timms Freundschaft mit dem 1967 auf der Anti-Schah-Demo in West-Berlin erschossenen Benno Ohnesorg, den er in der ersten Hälfte der 1960er Jahre kennengelernt hatte.

Immer wieder verbinden sich in Timms Werk autobiografische Erfahrung und historische Recherche. Kritisch beleuchtete er verschiedenste Aspekte der deutschen Geschichte. In „Am Beispiel meines Bruders“ (2003) behandelte er nicht nur die eigene Familiengeschichte um den freiwillig der Waffen-SS beigetretenen und in der Ukraine in einem Lazarett verstorbenen Bruder, sondern reflektierte auch für die deutsche Gesellschaft typische Formen des Trauerns, Erinnerns und Verdrängens der NS-Zeit. Zu seinen größten Erfolgen gehört die 1993 erschienene und 15 Jahre später verfilmte Novelle „Die Entdeckung der Currywurst“. Darüber hinaus schrieb Uwe Timm auch für Kinder und Jugendliche, erfolgreich verfilmt wurde „Rennschwein Rudi Rüssel“ (1989).

Besonders stellte Sibler heraus, dass Timm immer wieder die gestaltende Kraft der Utopie verteidigte: „So stehen Sie auch für eine Literatur der Hoffnung, die sich der Zukunft optimistisch zugewandt zeigt, und das trotz und auch in Anbetracht des Versagens, der Verbrechen der Menschheit in der Vergangenheit. Auf eine solche Literatur sind wir in der heutigen Gegenwart mit ihren Unwägbarkeiten und ihrer Komplexität dringend angewiesen.“

Die Auszeichnung „PRO MERITIS SCIENTIAE ET LITTERARUM“

Das Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst verleiht seit dem Jahr 2000 die Auszeichnung „PRO MERITIS SCIENTIAE ET LITTERARUM“ an herausragende Persönlichkeiten für deren Verdienste um Wissenschaft und Kunst, seit 2008 in Form eines Bronze-Reliefs. Ziel dieser Ehrung ist neben der Würdigung dieser Persönlichkeiten, Kultur als Einheit zu begreifen: Wissenschaft und Kunst sollen als zwei Seiten derselben Medaille wahrgenommen werden. Pro Jahr werden grundsätzlich nur bis zu acht Auszeichnungen vergeben.

 

Fotos von der Ordensüberreichung finden Sie zum Download unter:

https://www.stmwk.bayern.de/ministerium/minister-fuer-wissenschaft-und-kunst/bilder.html

Weitere Informationen: https://www.km.bayern.de/ministerium/foerderung/kunst/pro-meritis.html

 

Michael Becker, Sprecher, 089 2186 2025

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