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Geschriebenes

Heute Mittag hast du mir noch gesagt, wie viel leiser du dir das Land

vorgestellt hast. Idyllisch, ohne die Transporter, die durch deine Innen-

stadt brettern, ohne die Heimkehrer der Studentenpartys, ohne die

klassische Musik, die am Bahnhof die Obdachlosen vertreiben soll. Du

hast nicht bedacht, wie viel lauter das Mofa meines Bruders ist, wenn

seine Ankunft uns beim viel zu feuchten Knutschen unterbricht. Oder

wie ohrenbetäubend das Rascheln der Bäume sein kann, wenn du mir

nichts mehr zu sagen hast. Aber jetzt ist es Nacht, und dir ist kalt, und

tatsächlich ist diese gelöcherte Straße wirklich, wirklich still. Dein

Auto können wir nicht nehmen, du hast getrunken, weil du nicht wusstest,

dass der einzige Busfahrer der Gegend längst Feierabend hatte und

ein paar Tische neben uns sein Weizen bestellte. So richtig nach Hause

laufen musstest du das letzte Mal, als du eine Freundin in Bamberg

besucht hast, die du eigentlich in Neuseeland kennengelernt und in Bra-

silien einmal verschüchtert geküsst hast. Aber jetzt bist du hier, bist

froh, dass dir die kalte Nachtluft eine Ausrede gibt, die Hände tief in den

Taschen zu vergraben. Du betrachtest die Straße vor uns so interessiert,

als wäre es eine der Galerien, von denen du mir erzählst, als hätte ich nie

eine betreten. Heute Mittag hast du noch davon gesprochen, mich

unbedingt dorthin mitnehmen zu wollen, und zu der U-Bahnbrücke, unter

der ihr immer feiert. Ich frage mich, wie es wäre, dem Gras bis zum

Morgengrauen zuzusehen. Ob man sehen könnte, wie sich der Raureif auf

die Halme setzt, oder ob es wie bei kochendemWasser genau dann

passiert, wenn man einmal nicht hinsieht.

Heimweh/g

Tabea Zeltner geb. 1996, ausgezeichnet mit

dem Nürnberger Autorenstipendium Drehbuch,

Finalistin der PULS Lesereihe, beschäftigt

sich in ihren freien literarischen Arbeiten mit

den Themen Feminismus, Politik und Heimat.

In unserer neuen Aviso Rubrik Geschriebenes

finden junge literarische Stimmen Platz.