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Ab-

schalten

– dieser Begriff nimmt in meinem Forschungsfeld eine ganz

zentrale Bedeutung ein. Aber keine Missverständnisse: Ich bin

keine Entspannungsforscherin. Mich interessiert, wie Gene aus-

geschaltet werden. Gene können tatsächlich regelrecht außer

Kraft gesetzt werden, und nach allem, was ich darüber heraus-

gefunden habe, passt dieser etwasmechanistischeBegriffdes Ab-

schaltens nachwie vor ambesten. Es gibt zumBeispiel Hormone,

die das können, und zwar nicht nur die körpereigenen, sondern

auch künstlich hergestellte: BestimmteHormone schaltenGene

an und ab / ein und aus.

Die Wirkung von körpereigenen Hormonen erleben wir täg-

lich: Nachts essen wir meistens nicht. In der Früh dann wird das

Stresshormon Cortisol – ein Glucocorticoid-Hormon aus der

Nebenniere – ausgeschüttet. Das bringt uns erstmal Energie. In

richtigenStresssituationenbrauchenwir eine höhereDosisCorti-

sol, so sindwir biologisch angelegt, es geht umifight oder flightl

– das sind die beiden Lösungen, die uns in Stresssituationen ur-

sprünglich zur Verfügung standen. Bis heute sind Aggression

oder Flucht die beiden wesentlichen Verhaltensmuster, auf die

wir zurückgreifen, wenn uns der Chef –oder die Chefin–Druck

macht, wenn uns dieArbeit über denKopf wächst oder wenn uns

jemand auf der Straße anpöbelt. Aber das nur am Rande.

Wie arbeiten die Glucocorticoide? Sie ver-

binden sich mit Rezeptoren, die sich in den

Körperzellen befinden und eine wichtige Rolle bei der Re-

gulierung von Stoffwechselvorgängen spielen. In Verbindung

mit diesen Rezeptoren – das habe ich in meinen Forschungen

herausgefunden – können die Hormone z. B. Entzündungs-

reaktionen beenden. Der Glucocorticoid-Rezeptor dockt nach

Bindung des Hormons direkt an die DNA an, um Entzün-

dungsgene auszuschalten. Dabei werden die Immunreaktionen

des Körpers herabgemildert.

Herausgefunden habe ich das unter Einsatz neuester genom-

weiter Methoden, des sogenannten Next Generation Sequen-

cing (NGS). Die Sequenzierung von DNA ist so etwas wie ein

Auseinandernehmen der Genomsequenzen in ihre kleinsten

Bestandteile. So kann man die DNA Buchstabe für Buchstabe

lesen. NGS lässt automatisiert mehrere Tausend bis zuMillio-

nen Sequenzierprozesse gleichzeitig ablaufen. Ein mensch-

liches Genom mit seinen 3,2 Milliarden »Buchstaben«, für

das man früher 10 Jahre und hunderte Labore weltweit ge-

braucht hätte, kann heute inzwischen innerhalb weniger Tage

von einem einzigen Labor in seine Bestandteile zerlegt werden!

So wurde etwa das Genom von »Ötzi« entschlüsselt, von dem

wir viele Details kennen, z. B. dass er unter Laktose-Intoleranz

litt, die Blutgruppe 0 hatte und braune Haare.

Aber kommen wir zurück zu denHormonen. Die entzündungs-

hemmende Fähigkeit des körpereigenen Cortisols machen sich

Science Slam

Nina Henriette Uhlenhaut untersucht die

Wirkung sogenannter Glucocorticoid-

Hormone auf molekularer Ebene sowie

ihre physiologischen Folgen für das

Immunsystem und den Stoffwechsel

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