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1 | 2019

FRAUEN. GLEICHE CHANCEN – ANDERE MÖGLICHKEITEN

COLLOQUIUM

In der nationalsozialistischen Ideologie ist kein Platz für die selbstbe­

stimmte und politisch engagierte Frau. Der Lohngleichheitsgrundsatz

wird wieder abgeschafft, das aktive Wahlrecht verkommt zur Farce.

Die Frau wird auf ihre »natürliche« Rolle als Mutter, »Kampf- und

Lebensgefährtin des Mannes« zurückgeworfen: »Die Frau hat auch

ein Schlachtfeld. Mit jedem Kind, das sie der Nation zur Welt bringt,

kämpft sie diesen Kampf durch. [...] Es gibt keinen größeren Adel für

die Frau, als Mutter der Söhne und der Töchter eines Volkes zu sein.«

So Hitler in seiner Rede am 13. Mai 1935 vor dem Frauenkongress in

der Luitpoldhalle Nürnberg.

Viele Frauen, die in der Frauenbewegung engagiert sind, werden

jetzt in diffamierender Absicht als »Jüdin« bezeichnet, auch wenn

sie nicht jüdischer Herkunft sind. Für die Nationalsozialisten ist die

Emanzipationsbewegung ein nationaler Fremdkörper. Sie klassifi­

zieren sie als »liberalistisch«, »jüdisch«, »bolschewistisch«: »Es gab

eine Zeit, da kämpfte der Liberalismus für die Gleichberechtigung der

Frau, aber das Gesicht der deutschen Frau und des deutschen Man­

nes war damals hoffnungslos, trübe und traurig und heute, da sehen

wir unzählige strahlende und lachende Gesichter. [...] Dieses Vor­

gehen, das ist typisch jüdisch, es ist liberalistisch, es ist bolschewis­

tisch, aber nicht deutsch. Das heißt nicht Gleichberechtigung. Die

Gleichberechtigung der Frau, die besteht darin, dass sie in den ihr von

der Natur gezogenen arteigenen und wesenseigenen Lebensgebieten

jene Hochschätzung erfährt, die ihr zukommt, wie sie dem Manne

zukommt.« (ebd.)

Antisemitische Hetzparolen sind zu diesem Zeitpunkt allerdings nichts

Neues. Schon vor der Jahrhundertwende haben antisemitische Zeitun­

gen wie die

Staatsbürgerzeitung

die Frauenbewegung als »jüdische«

Bewegung dargestellt, die führenden Vertreterinnen der Frauenbewe­

gung als »entartet« diffamiert, die Begriffe »jüdisch«, »feministisch«,

»international« verknüpft. Nach 1900 betreiben besonders die

Deutsch-

Sozialen Blätte

r Hetzpropaganda dieser Art. Die Nationalsozialisten

konnten daran fast nahtlos anschließen. Eine verhetzende Darstellung

der »jüdischen« Physiognomie Anita Augspurgs findet sich schon 1919

auf einem antisemitischen deutschnationalen Flugblatt.

Anita Augspurg im Exil

ImApril 1933 befinden sich Anita Augspurg und ihre Lebensgefährtin

Lida Gustava Heymann, die auf der Todesliste der Nationalsozialisten

stehen, auf einer Urlaubsreise. Beide begeben sich sofort nach Zürich

ins Exil. Niemals wieder werden sie nachMünchen zurückkehren: »Es

wäre Wahnsinn gewesen, uns den Hitler-Schergen auszuliefern, diesen

sadistischen Psychopathen [...].« Anita Augspurgs inMünchen zurück­

gelassenes Schriftgut wird von den Nationalsozialisten wenig später

zerstört. Von Zürich aus versuchen die beiden, unterstützt von einem

internationalen Frauen-Netzwerk, gegen Hitler und später auch gegen

den zweiten Weltkrieg zu agieren. In ihren 1941 verfassten Lebens­

erinnerungen finden sich folgende Worte: »Gewalt aber kann niemals

durch Gewalt überwunden werden, sondern nur [...] durch Vernunft

und Geist. Diese einzig richtige Erkenntnis hat sich nicht rechtzeitig

durchsetzen können, [...] eine in ihrer Mehrheit dem Wahnsinn ver­

fallene Menschheit ist weder durch Verstand noch Vernunft zu meis­

tern; sie muss letzten Endes an ihrer eigenen Torheit zerschellen.« 1943

stirbt Anita Augspurg verarmt in Zürich.

Ende des Fotoateliers Elvira

Das Fotoatelier

Elvira

wird 1933 von Alfred und

Nana Merbitz erworben, die bereits schon 15 Jahre

zuvor eine chemische Reinigung im Rückgebäu­

de eingerichtet haben. 1933 wird eine SA-Sturm-

Abteilung einquartiert. Verhängnisvoll wird die

Nähe des Ateliers zumHaus der Deutschen Kunst.

Mit Einweihung des NS-Kunsttempels sind die

Tage des Ateliers gezählt. Die Lokalbaukommis­

sion fordert 1937 dazu auf, »die hässliche, im Stra­

ßenbild sehr störend wirkende Fassade des ehe­

maligen Photo-Ateliers [...] bis spätestens 10. Juli

1937 derart abzuändern, daß unter Beseitigung der

bisherigen Verzierung ein glatter Wandputz herge­

stellt und mit neuemAnstrich versehen wird.« Am

25. April 1944 zerstört ein Fliegerangriff das Atelier

völlig. Nach Kriegsende kauft der Freistaat Bayern

das Anwesen und tritt es 1951 an die USA ab. Um

Platz für das Konsulatsgebäude zu schaffen, werden

die letzten Reste des Ateliers endgültig beseitigt.

Das Ende des Münchner Schriftstellerinnen-

vereins

Auch das Leben der Münchner Schriftstellerin

Carry Brachvogel, von 1895 bis 1932 ein literari­

scher Star, mündet seit 1933 in eine Tragödie. Mit

ihrem Schicksal verbunden nimmt der von ihr und

Emma Haushofer-Merk 1913 gegründete

Münch­

ner Schriftstellerinnen-Verein

ein schmachvolles

Ende. Wie viele andere Schriftstellerinnen jüdi­

scher Herkunft, etwa die Münchner Dramatike­

rin und Frauenrechtlerin Elsa Bernstein, erhält

Carry Brachvogel Berufs- und Publikationsverbot.

Der

Schriftstellerinnen-Verein

wird gezwungen,

ihr den Vorsitz zu entziehen. Am 20. November

oben

Letztes Bild von Carry Brachvogel kurz vor der

Deportation nach Theresienstadt.

© Stadtarchiv München München DE-1992-FS-NL-Pett1- 3851 | Stadtarchiv München DE-1992-FS-FOR-2876 | Stadtarchiv München DE-1992-FS-WKII-STR 3682 | Privatarchiv Richardsen