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1 | 2019

FRAUEN. GLEICHE CHANCEN – ANDERE MÖGLICHKEITEN

COLLOQUIUM

Austausch. Das Atelier wird bald zu einem Treffpunkt der

Frauenbewegung. Frauen lassen sich hier in unterschiedlichs­

ten Rollen inszenieren, am Schreibtisch, als Schriftstellerin

und Philosophin, als Tänzerin oder Amazone.

Die Anfänge der modernen Frauenbewegung in München

Im Mai 1894 gründet der Kreis um Anita Augspurg die

Gesellschaft zur Förderung geistiger Interessen der Frauen

einen Verein, der die Ziele der Frauenbewegung verfolgt. Hier

finden sich Frauen und Männer des Münchner Bürgertums

aller Konfessionen zusammen. Von den Mitgliedern wird

erwartet, die emanzipatorischen Vorstellungen des Vereins

nach außen zu tragen. Um diese Ideen publik zu machen,

veranstaltet der Verein ab 1895 im Haus des Bayerischen

Kunstgewerbevereins Gesellschaftsabende mit Vorträgen

und Diskussion (heute: Pacellistrasse 7) .

Anita Augspurg legt 1896 einvernehmlich den Vorsitz imVer­

ein nieder. Sie, die in Zürich Jura studiert und für radikalere

Forderungen im Hinblick auf Veränderungen im Ehe- und

Familienrecht des BGB plädiert, will die engagierte, jedoch

gemäßigte Vorgehensweise des Münchner Vereins nicht ge­

fährden. Der Verein vermeidet aufgrund der Verhältnisse in

Bayern ganz bewusst ein radikales Vorgehen und engagiert

sich daher auch karitativ. Die Vereinstätigkeit der bürgerli­

chen Frauen durfte nicht zu politisch erscheinen – noch bis

1908 wird Frauen die Beteiligung an politischen Vereinen

und Versammlungen verboten sein. Ika Freudenberg wird

1896 zur neuen Vorsitzenden gewählt. Jetzt schließt sich die

Münchner Organisation dem

Bund Deutscher Frauenver­

eine

(BDF) an.

Die

Gesellschaft

nimmt gezielt Männer auf. Während auf der

Mitgliederliste von 1896 erst 6Männer stehen, darunter der

nachmals so berühmte Bildhauer Herman Obrist, verzeich­

net die Mitgliederliste von 1897 bereits 22 Männer, so den

Jugendstilkünstler August Endell, Rainer Maria Rilke, Dr.

Carl von Thieme, Direktor der Münchener Rückversicherungs-

Gesellschaft, Ernst Freiherr vonWolzogen, den Schriftsteller

und Gründer eines der ersten literarischen Kabarette und den

Dichter und Professor für Volkswirtschaft Max Haushofer.

Der erste Bayerische Frauentag 1899 – Propaganda für

ein Netzwerk der Frauen in Bayern

1897 lassen Anita Augspurg und Sophia Goudstikker von

August Endell ein neues Atelierhaus gestalten. Die meergrü­

ne Jugendstilfassade mit dem markanten Ornament ist zu­

erst der Skandal, dann die Sensation, die das Atelier

Elvira

zum berühmtesten Fotostudio im ganzen deutschen Reich

macht. 1898 wird Goudstikker zur

Königlich Bayerischen

Hofphotographin

ernannt, das Atelier

Elvira

darf nun sogar

die Bezeichnung

Hofatelier

führen.

Unter demVorsitz von Goudstikker undMitarbeit von Emma

Merk eröffnet der Verein 1898 eine »Rechtsschutzstelle« für

Frauen aller Schichten in der Von-der-Tann-Straße 2. Um

Lobbyarbeit zu betreiben, wählt er für seine Veranstaltungen

stets repräsentative Orte, das

Hotel Vier Jahreszeiten

, den

Bayerischen Hof

, das

Café Luitpold

und das

Künstlerhaus

am Lenbachplatz

.

1899 benennt sich die

Gesellschaft zur Förderung geistiger

Interessen der Frau

um in

Verein für Fraueninteressen

und

gründet Kommissionen: eine »Zentralstelle für Wohlfahrts­

einrichtungen«, eine »Auskunftsstelle für Frauenberufe«,

eine »Abteilung für soziale Arbeit«, eine »Jugendgruppe«.

Der Verein beschließt, seine Aktivitäten auf ganz Bayern

auszudehnen und die Frauen Bayerns nach München ein­

zuladen. An dem Kongress, der vom 18.–21. Oktober in

München stattfindet, nehmen über 50 Frauen aus 14 baye­

rischen Städten teil. Möglich gemacht hatte ihn eine neue

Rechtslage: 1898 hatte der Gesetzgeber den Artikel 15 des

bayerischen Vereinsgesetzes gelockert. Nun war es volljähri­

gen Frauen erlaubt, Vereinen beizutreten oder an Versamm­

lungen teilzunehmen, die den Berufs- und Standesinteressen

bestimmter Personenkreise oder den Zwecken der Erzie­

rechts

Alte Post-

karte vom Garten-

haus des Künstle-

rinnenvereins in der

Barerstr. 21, Sitz des

Schriftstellerinnenver-

eins von 1925-1933.

daneben

Anita Augspurg in ih-

rem Arbeitszimmer

1899.