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aviso 1 | 2019

FRAUEN. GLEICHE CHANCEN – ANDERE MÖGLICHKEITEN

COLLOQUIUM

NAHID SHAHALIMI

Was ist Ihnen wirklich wichtig?

Ein Krieg, der gar nichts mit uns zu tun hatte, hat

den Verlauf unserer Geschichte und das Leben

aller Afghanen für immer verändert. Aber er hat

mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute

bin, deshalb bemühe ich mich bei allem, was ich

tue, einen besseren Weg zu hinterlassen als den,

der für mich vorgegeben war.

Was empfinden Sie als tiefstes Leid?

Es hat schwere Zeiten gegeben, aber sind nicht die

Höhen und Tiefen das Schöne am Leben? Als der

Schah – der letzte König von Afghanistan – 1973

gestürzt wurde, wurde alles anders. Der Krieg hat

mir meinen Vater genommen, und das Leben wur­

de für uns die Hölle auf Erden. Reich und weiblich

zu sein ohne ein Familienoberhaupt wurde zum

Fluch. Wir waren reich genug, dass es für alle ge­

reicht hätte, aber einige Verwandte lauerten wie

die Wölfe auf den Tod meines Vaters. Ich habe er­

lebt, wie Menschen sich inMonster verwandelten,

für die nur das Geld zählte. Wir sind wegen des

Krieges aus Afghanistan weggegangen, aber vor

allem, weil es sehr gefährlich für uns als Frauen

war. Wir haben nichts mitgenommen, sind über die

Berge geflohen und hatten fünf Tage lang nichts zu

essen und zu trinken. Das hat uns um unsere Kind­

heit betrogen, aber es hat uns auch stark gemacht.

Wir waren schon auf dem absoluten Tiefpunkt

angelangt, was sollte da noch kommen? Der Tod?

Was würden Sie in der Welt verändern, wenn Sie könnten?

Ich bin der Überzeugung, wenn man etwas

Gutes tun will, sollte man einfach hingehen und es

tun. Man braucht keine Erlaubnis, um jemandem

zu helfen. Und ich wünschte, die Menschen wür­

den wirklich zu sich selbst finden. Sie reden sich

ein, dass sie in Schubladen passen müssen. Aber

wofür? Für wen? Was versuchen sie zu beweisen?

Wählen Sie ein Wort, das Sie beschreibt.

Widerstandsfähigkeit.

Nahid Shahalimi

wurde in der afghanischen Haupt-

stadt Kabul geboren. Sie studierte Bildende Kunst am

Champlain College an der Südküste von Montréal so-

wie Politik und Südostasien-Studien mit dem Schwer-

punkt Menschenrechte an der Concordia University

in Montréal. Sie ist Gründerin und Vorsitzende der

Hope Foundation for Women and Children in Afgha-

nistan und Mitglied im Nationalkomitee von UNICEF

Deutschland. 2009 startete sie »We, theWomen –Ger-

many«, eine Wanderausstellung und ein Journal zur

Würdigung starker, inspirierender deutscher Frauen.

2017 erschien ihr Buch »Wo Mut die Seele trägt. Wir

Frauen in Afghanistan« mit Porträts von afghani-

schen Frauen und Mädchen im Elisabeth Sandmann

Verlag.