Lehrer mit Migrationshintergrund: Eine Kollegin berichtet über ihre Erfahrungen

Lehrer, die selbst aus einem anderen Land kommen, sind wichtige Identifikationsfiguren und Brückenbauer für ihre Schüler. Hatice Tanirgan-Lutz unterrichtet Mathematik und Physik an einer Realschule in Nürnberg. Als Vorstandsmitglied des „Netzwerks von Lehrkräften mit Migrationshintergrund“ spricht sie über ihre Erfahrungen im Schulalltag.

Hatice Tanirgan-Lutz unterrichtet Mathematik und Physik an einer Realschule in Nürnberg
Hatice Tanirgan-Lutz unterrichtet Mathematik und Physik an einer Realschule in Nürnberg

Frau Tanirgan-Lutz, Sie unterstützen die Ideen des Schülercampus „Mehr Migranten werden Lehrer“. Warum ist es so wichtig, dass es Lehrer gibt, die einen Migrationshintergrund haben?

Ich selbst bin mit zehn Jahren nach Deutschland gekommen. In meiner Klasse voll türkischer Kinder hielt ein Vertretungslehrer Mathe, der sagte am Ende der Stunde: Ist ja Wahnsinn, wie gut ihr rechnet und wie begeistert ihr für die Schule seid. Wisst ihr eigentlich, dass es Integrationsklassen im Gymnasium oder in Realschulen gibt? Warum macht ihr nicht weiter? Ich bin mit dieser Botschaft nach Hause gelaufen und musste erst einmal hören: Oh Gott, was willst du denn auf solch einer Schule. Du bist ein Mädchen, du wirst ja eh bald heiraten. Dagegen musste ich erst einmal ankämpfen – und bin doch in eine Integrationsklasse in die Realschule gekommen. Ich sehe uns Lehrer mit Migrationshintergrund in einer besonderen Vorbildfunktion. Wir haben etwas geschafft. Wir zeigen: Auch jemand, der nicht mit der deutschen Sprache aufgewachsen ist, kann sehr wohl Abitur machen, kann trotz einiger grammatikalischer Fehler ein Lehramtsstudium absolvieren und unterrichten.

Wie können Sie konkret bei der Integration ausländischer Schüler helfen?

Wir können ausländische Eltern anders erreichen. Oft merke ich, dass es egal ist, ob ich mit Eltern rede, die nicht einen türkischen, sondern vielleicht einen russischen Hintergrund haben: Sie fühlen sich mit mir verbunden. Sie merken, dass ich einen kulturellen Hintergrund habe, den ein deutscher Lehrer nicht so ohne Weiteres hat. Damit will ich nicht die hohe interkulturelle Kompetenz meiner deutschen Kollegen in Frage stellen. Bei uns ist es nur ein etwas „Mehr“, das verbindet. Man wird von den Eltern dadurch anders wahrgenommen. Und auch wir hatten solche Eltern und können uns daher einfacher einfühlen. Wir wissen, wie hilflos sich viele in dem fremden Bildungssystem fühlen. Konkret können wir z. B. auch türkische Briefe schreiben, im Notfall die Familien persönlich besuchen. Oft ist mit kleinen Dingen schon das Eis gebrochen und Interesse geweckt, wenn z. B. unter der Einladung zum Elternabend ein türkischer Name steht und zeigt: Da ist ja eine ausländische Lehrerin an der Schule von meinem Kind – das betrifft mich ja direkt. Was ich diesen Eltern unbedingt vermitteln möchte, ist, dass die deutsche Sprache die Schlüsselqualifikation hier ist. Ich will ja, dass die Kinder zwei Sprachen sprechen dürfen. Aber sie müssen gut Deutsch können. Ohne die deutsche Sprache ist kein Eintritt in die Gesellschaft möglich.

Was kann das „Netzwerk von Lehrkräften mit Migrationshintergrund“ leisten?

Unser Netzwerk soll ein Verbindungsglied für die Lehrer darstellen, die selbst eine Zuwanderungsgeschichte haben und die daran interessiert sind, die Integration weiterzutragen. Wir haben momentan etwa 110 Lehrkräfte aus ganz Bayern, verschiedenster Herkunft: polnische, tschechische, russische, türkische, griechische Lehrer, eine Lehrkraft aus Holland und eine aus Togo. Sie sind in allen Schularten eingesetzt. Wir werden uns für jeweils ein Jahr ein Projekt vornehmen, zu dem wir unsere Kollegen einladen. Die Infos und Materialien sind jedem zugänglich. Das Netzwerk soll aber eine freiwillige Zusammenarbeit sein, jeder soll selbst entscheiden, ob das Projekt gerade passt und er aktiv wird. Ich glaube aber, dass das Netzwerk sich gerade auszeichnet durch eine unglaubliche Energie der Mitglieder. Dieses Gefühl hatte ich bei all unseren Zusammenkünften: Da sind so viele Lehrkräfte da, die eine Botschaft haben und die in die ganze Sache viel Energie hineinstecken wollen.

Information: Das Netzwerk für Lehrkräfte mit Migrationshintergrund

Aufgabenfelder und Ziele des Netzwerks

Das bayerische Kultusministerium hat für Bayern als eines der ersten Bundesländer schon im Dezember 2009 ein Netzwerk von Lehrkräften mit Migrationshintergrund initiiert. Deren Erfahrungsschatz und hohe interkulturelle Kompetenz leisten einen wertvollen Beitrag für die Integration und den interkulturellen Dialog.

Das Netzwerk ist zuletzt im Juli 2010 zu einer Fortbildung im Kultusministerium zusammengekommen. Im Mittelpunkt standen die Schnittstellen zwischen den Zielsetzungen des Netzwerks und dem bestehenden Gesamtkonzept des Kultusministeriums zur Integration von Schülern. Als erstes Aufgabenfeld haben die Lehrkräfte des Netzwerks den Schülercampus „Mehr Migranten werden Lehrer“ begleitet. Schüler mit Einwanderungsgeschichte sollen Einblicke in das Lehramtsstudium und den Lehrerberuf bekommen. Mit dem Projekt, dessen Weiterführung im Februar 2011 geplant ist, verfolgt das Kultusministerium das Ziel, die Zahl der Lehrkräfte mit Migrationshintergrund an Bayerns Schulen weiter zu erhöhen.

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