Table of Contents Table of Contents
Previous Page  4 / 52 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 4 / 52 Next Page
Page Background

|4|

WORAUF ICH MICH FREUE

UDO HAHN

DAS IST JA

mal eine Vorgabe: Worauf ich mich freue! Haben

Sie sich dabei ertappt, dass Sie, wenn Ihnen die Frage ge-

golten hätte, erst einmal hätten überlegen müssen? Ich will

ehrlich sein: Doch, ich habe kurz innegehalten. Und mich

ein bisschen über mich selbst geärgert. Typisch, kam mir in

den Sinn, wir denken meist zuerst an das Negative – an das,

was nicht läuft, was keine Freude bereitet, an die Hausfor-

derungen, die es zu bestehen gilt. Als sei alles immer zuerst

problembeladen. Was es in der Regel meist nicht ist.

Natürlich gibt es auch an einem Arbeitsplatz im Schloss

Tutzing, dem Sitz der Evangelischen Akademie Tutzing, viel

Alltagsgeschäft, die üblichen Routinen und – ja – auch Stress

und Verdruss. Wäre auch seltsam, wenn es nicht so wäre.

Für viele unserer Gäste – die 8.000, die zu unseren eigenen

Tagungen kommen, und für weitere 6.000, die über Klau-

suren, Seminare, Workshops und Kongresse von Firmen, Stif-

tungen, Universitäten und Einrichtungen hierher kommen –

sind wir ein Kraftort. Theologenkollegen heben bei diesem

Begriff meist den warnenden Zeigefinger: Achtung, Esote-

rikverdacht! Aber warum soll man einen solchen Begriff den

Esoterikern überlassen?

TATSÄCHLICH BRAUCHT ES

Orte, um sich auf Zeit von

der Welt zurückzuziehen, um sich umso intensiver mit der

Welt zu beschäftigen. Vielen gilt die Evangelische Akademie

Tutzing als Denkwerkstatt. Als Raum, der nicht schon von

Interessen dominiert wird, sondern als Forum, das Men-

schen aus Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft, Medien

und Kirche zusammenführt. Meinungsbildung möglich zu

machen, die unterschiedlichen Positionen kennenlernen und

urteilsfähig werden – das zeichnet unsere rund einhundert

Tagungen aus, die wir Jahr für Jahr im Kollegium planen.

An einem Ort, den Menschen wegen seiner interessanten

Diskurse aufsuchen, spielt das Ambiente eine unübersehbare

Funktion: Wohnen im Schloss, verköstigt werden in einem

Restaurant, das nur frische Produkte verarbeitet, die zum

weit überwiegenden Teil aus der Biolandwirtschaft kommen,

den Tag ausklingen lassen in den Salons, dazu noch der Blick

von der Seeterrasse auf Zugspitze, Wetterstein und Kar-

wendel. In diesem Umfeld sind die Menschen für Bildungs-

prozesse und Kräfte zehrende Debatten in besondere Weise

aufgeschlossen.

DAS GILT Z. B.

für Politiker, die sich vor mehr als fünfzig

Jahren über die Möglichkeiten einer Ostpolitik stritten – und

Egon Bahr hier das Motto »Wandel durch Annäherung« er-

fand. Das gilt auch für Multiplikatoren aus anderen Bereichen

der Gesellschaft, die ProAsyl in der Evangelischen Akademie

Tutzing erfanden – oder die »Elternzeit«. Eine Denkwerk-

statt, die offen ist für alle, denen die Welt nicht gleichgültig

ist, sondern die nach Lösungen in der Zivilgesellschaft suchen.

An diesem Ort dienen zu dürfen, ist eine wahre Freude.

Worauf ich mich freue: im fünften Jahr meiner Tätigkeit

vielleicht doch die eine oder andere Tagung im eigenen Haus

mehr besuchen zu können…

aviso 1 | 2016

DINGWELTEN – UNIVERSITÄTEN ALS SAMMLER

WORAUF ICH MICH FREUE

Udo Hahn

ist Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing.