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aviso 1 | 2016
DINGWELTEN – UNIVERSITÄTEN ALS SAMMLER
BAYERNS VERBORGENE SCHÄTZE
Dr. Wolfgang J. Smolka
ist Leiter des Universitätsarchivs der Ludwig-Maximilians-
Universität München.
LMU, ja, ist sogar wieder fester Bestand-
teil der »CI« der modernen Münchner
Universität. Das freut uns! Ihre eins-
tige Bedeutung aber haben die Siegel
längst verloren. Einstmals echte Herr-
schaftsinstrumente, sind sie nur mehr
Monumente einer vergangenen Epoche.
Diesen Bedeutungsverlust können wir
an einigen dieser Typare ganz offensicht-
lich nachvollziehen: Wir finden an ihnen
kreuzweise angebrachte »Feilenschlä-
ge«, mit denen man sie einst nach dem
Umzug der Universität nach Landshut
unbrauchbar gemacht hatte. Ob dies
allein der Mutation der altehrwürdigen
Gelehrtenkorporation zur reinen höhe
ren Staatsanstalt im modernen baye-
rischen Staat unter Minister Montge-
las zu verdanken ist, oder vielmehr es
nicht doch auch Ausdruck des Zeitgeis-
tes der Säkularisation war, das bleibt
einer Interpretation der spärlichen
Quellen überlassen.
DIE REKTORKETTE,
bestehend aus
massiven Goldgliedern und geschmückt
mit einem Medaillon mit dem Profil
König Ludwig I., ist die jüngste Insig-
nie der LMU. König Ludwig I. verlieh
sie der Universität 1826 anlässlich ihrer
»Neubegründung« in der Residenzstadt
München, mit ihr auch gleichzeitig die
Hoffähigkeit für den Rektor. Hat Lud-
wig die anderen Attribute der Univer-
sität, ihre Sammlungen, dieser rigoros
entfremdet, so ist er bei den Insignien
den entgegengesetzten Weg gegangen.
Besonders diese Insignie trägt eine noch
weiter gefasste Symbolhaftigkeit in sich:
sie steht ganz speziell für die Wertschät-
zung dieses Monarchen gegenüber »sei-
ner« Gelehrtenkorporation, einerseits
auch für die enge Bindung dieser selbst
an ihn, andererseits aber auch unmiss-
verständlich für die Restitution einst
in Landshut verlustig gegangener kor-
porativer Rechte. Die Kette findet sich
zuverlässig auf jedem Rektorgemälde
oder jeder Fotografie eines Rektors »im
Einsatz« wieder. Und doch: selbst die-
ser wenig ungewöhnlichen und auch
in weitaus profaneren Bereichen (etwa
der Kommunen) verbreiteten Insignie
droht an unserer Universität Ungemach,
wird sie doch nur äußerst selten auf den
Schultern des derzeitigen Präsidenten
der LMU gesehen…
Dennoch entfalteten trotz aller Zäsuren in den jüngst vergangenen Jahrzehn-
ten die Insignien der LMU eine beträchtliche Außenwirkung. Oft reisten sie
zu zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland, wo sie allerdings kaum in
ihrer (ursprünglichen) Funktion, vielmehr in der jeweils typeigenen materiel-
len Überlieferung des Objektes bestaunt werden sollten. Bis hier in der Tat dann
konservatorische Bedenken dem Leihverkehr ein Ende machten, beispielsweise
der Schiffspokal dann nicht zur Eröffnungsausstellung des Musée de quai Branly
nach Paris reisen durfte. Dort hätte er auch nicht das huldvolle Geschenk eines
Fürsten an seine Universität darstellen, vielmehr als Werkstück aus der Alten
Welt den Blick auf die Neue Welt repräsentieren sollen.
JEDE ZEIT SUCHT
sich ihre Symbole selbst. Jedoch: Die Sammlung der Insig-
nien der Ludwig-Maximilians-Universität ist nicht allein museale Reminiszenz
an vergangene Jahrhunderte: Sie ist Kulminationspunkt für Geist und (auch
gegenwärtiges) Selbstverständnis einer alten Universität, versteht man, wie jede
andere Quelle, auch diese zu lesen.
links
Szepter der theologischen,
juristischen und medizinischen Fakultät
der Universität Ingolstadt, 1600/1642.
darunter
Der Historiker Hermann
Grauert als Rektor mit Amtskette,
Gemälde von Gebhard Fugel, 1916.
unten
Rektoratsübergabe an den
Chemiker Egon Wiberg, 1957. Wiberg
ist mit der Rektorkette angetan, die
Pedelle tragen ihm das Szepter
der Artistenfakultät und das der drei
höheren Fakultäten voran.