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aviso 1 | 2019

FRAUEN. GLEICHE CHANCEN – ANDERE MÖGLICHKEITEN

COLLOQUIUM

DR. ANGELIKA NOLLERT

DIREKTORIN DIE NEUE SAMMLUNG –

THE DESIGN MUSEUM

1.

Die Zunahme von Frauen in der Museumslandschaft

basiert natürlich zunächst auf der seit Jahrzehnten gesamt­

gesellschaftlichen Entwicklung von einer Steigerung der Er­

werbstätigkeit von Frauen. Und der Kulturbereich gehört

traditionell zu den Berufsfeldern, in denen verhältnismäßig

viele Frauen tätig sind. Auch gehört es heute zum guten Ton,

einen Teil der Stellen durch Frauen zu besetzen. Aber: Sind

die Stellen imMuseumsbereich paritätisch besetzt, und ganz

wichtig: sind sie das auf allen hierarchischen Ebenen? Dies

sind sie nicht. Selbst wenn in den letzten 20 Jahren eine deut­

liche Verbesserung zur gendergerechten Verteilung stattge­

funden hat, so gibt es unbedingt noch Potential.

2.

Meine Entscheidungen diesbezüglich werden sehr bewusst

gefällt. Bei Jurytätigkeiten schlage ich mindestens die Hälfte

Frauen vor, weil unter den Gesamt-Vorgeschlagenen erfah­

rungsgemäß vielfach mehr Männer sind. Bei Preisjurys schaue

ich mir die Liste der vergangenen PreisträgerInnen an und

richte meine Vorschläge und Entscheidungen nach diesem

Kontext aus, um insgesamt geschlechtergerecht zu sein. Dies

alles vor dem Hintergrund einer gleichwertigen Qualifizie­

rung, die natürlich immer zu finden ist, wird nur darauf

geachtet. Unsere Ausstellungen zeigen eine geradezu pari­

tätische Ausbalancierung der Geschlechter.

3.

Zu Erfolg führen verschiedene Wege, aber vielleicht kann

man es auf die alte Regel stellen: Talent, Fleiß und Fortune.

Für mich war der Beruf immer wichtig. Ich persönlich habe

den Beruf nie als Gegenwelt zum Privaten verstanden, son­

dern für mich ist der Beruf existenziell, auch um finanziell

unabhängig zu sein. Ohne Arbeit wäre ich zutiefst unglück­

lich. Ich denke, mich zeichnen Flexibilität und Neugierde

aus. Ich lerne gerne und arbeite mich gerne in neue Zusam­

menhänge ein, ich übernehme gerne Verantwortung und ich

gestalte gerne. Berufliche Veränderungen gehören für mich

zu einemBild des Long Life Learning. Mittlerweile habe ich

meine siebte berufliche Stelle, mit jeder Stelle habe ich eine

neue Herausforderung angenommen, und jede neue Position

bedeutete für mich eine größere Verantwortung.

4.

Ich möchte Allgemeinplätze vermeiden, aber es gibt schon

Richtungen: Ich kenne mehr Männer als Frauen, die hierar­

chisch denken oder cholerisch und eitel sind. Und ich kenne

mehr Frauen als Männer, die empathisch und kompromiss­

bereit sind. Männer brauchen häufiger die Ich-Form, Frauen

stellen sich mehr hinter ein »wir«. Ich selbst habe keinen

hierarchischen Führungsstil, sondern einen partizipativ-

kooperativen. Ich versuche gerecht zu sein und denMitarbei­

terInnen die maximale Möglichkeit zu geben, sich zu entfal­

ten. Es ist mir sehr wichtig, dass sich die MitarbeiterInnen

wohlfühlen, sich mit ihrer Arbeit und mit dem Haus identi­

fizieren, verantwortlich handeln und dass sie für ihre Arbeit

Würdigung erfahren.

5.

Wenn gendergerechtes Verhalten erfolgt oder genderge­

rechte Zustände beschrieben werden, dann wird dieses meist

kommunikativ überbetont. Gendergerechte Normalität wird

gefeiert, als sei diese etwas Außergewöhnliches. Geschlech­

tergerechtigkeit sollte aber die Norm sein und nicht ein an­

derer, außerordentlicher Zustand, Gendergerechtigkeit muss

gelebt und darf nicht zerredet werden.

6.

Ich halte eine gendergerechte Sprache für unbedingt not­

wendig, selbst wenn diese – innerhalb der deutschen Sprache –

oft kompliziert und sperrig ist. Die anstrengendere, scheinbar

tautologische Begrifflichkeit einer gendergerechten Sprache

wird leider immer noch mehrheitlich gemieden. Interessant

ist das Phänomen, dass sich viele Menschen (auch Frauen)

über Gendergerechtigkeit (nicht nur in der Sprache) ärgern

und diesbezüglich einen Überdruss empfinden oder sich ab­

lehnend verhalten. Ein Beispiel, warum es trotzdemwichtig

ist: Auf die Frage: Nennen Sie berühmte Sänger (oder Poli­

tiker oder Schriftsteller) werden Ihnen zunächst vor allem

Männer einfallen. Auf die gendergerecht formulierte Frage:

Nennen Sie berühmte Sänger und Sängerinnen (Politiker

und Politikerinnen, Schriftsteller und Schriftstellerinnen)

werden Sie deutlich mehr weibliche Namen hören. Gender­

gerechte Sprache schafft Bewusstsein!

7.

Unbedingt brauchen wir eine Quote – und zwar für die

Gleichstellung von beiden Geschlechtern und für alle Arten

von Berufen. In den Vorständen der DAX-Unternehmen wäre

eine höhere Präsenz von Frauen genauso wünschenswert

wie eine erhöhte Präsenz von Männern in den Kindergär­

ten. Die Quote für gleichberechtigte Präsenz in den Berufen

heißt vor allem gleichzeitig eine Quote für eine genderge­

rechtere Verteilung von Löhnen. Das beliebte Argument,

die Bewerberlage habe dazu geführt, dass ein gendergerech­

tes Verhalten nicht möglich war, greift zu kurz. Denn dann

müssen Konsequenzen gezogen werden, um Strukturen und

Grundbedingungen zu verändern oder Fördermaßnahmen zu

ergreifen.