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aviso 2 | 2017

WO IST DIE ZUKUNFT GEBLIEBEN?

BAYERNS VERBORGENE SCHÄTZE

DIE SAMMLUNG ALS SCHNITTSTELLE

DER FACHKULTUREN

DIE STUDIENSAMMLUNG MUSIKINSTRUMENTE & MEDIEN AN DER UNIVERSITÄT WÜRZBURG

ALS VOR 95 JAHREN

das musikwissenschaftliche Seminar

der Universität Erlangen gegründet wurde, verfolgte sein

erster Vorstand, Gustav Becking, ein anspruchsvolles Ziel.

Den geistesgeschichtlichen Erkenntnissen zuMusik der Ver-

gangenheit sollte »das Erlebnis des klingenden, gestalteten

Kunstwerks« vorausgehen. Die Ohren, gewöhnt an moderne

Adaptionen, sollten, gereinigt, zu einem historischen Klang

erzogen werden. Auch sein Nachfolger Rudolf Steglich un-

terhielt eine Praxis von musikalisch-historischen »Abend-

musiken« an der Universität. Beide bauten am Seminar mit

Stiftungen der Nürnberger Klavierhändler und Sammler

Reinhold Neupert und Ulrich Rück eine Sammlung auf, die

im Kern auf die Entwicklung der Klavierinstrumente im

18. und 19. Jahrhundert fokussiert war.

Wandel der Forschungsparadigmen

Das dezidierte Forschungsinteresse der Musikwissenschaft

an einem zu rekonstruierenden Klang – etwa dem Klavier-

klang der Mozartzeit – hat sich seit diesen ersten Wurzeln

heute eher in einen Sektor der historisch informierten Auf-

führungspraxis gewandelt. Andere Forschungsparadigmen

haben neben einer historischen Instrumentenkunde an

Bedeutung gewonnen: das Nachdenken über den kulturel-

len Status der Objekte, mit denen Musik gemacht oder auf

denen sie gespeichert wird, und – gerade in Zeiten zuneh-

mender Virtualisierung – die Reflexion auf ihre Medialität

und Materialität.

Heute bildet die historische Sammlung des ehemaligen

Erlanger Seminars einen Teil der Studiensammlung Musik-

instrumente & Medien an der Universität Würzburg. Die

Studiensammlung gehört zum Würzburger Institut für

Musikforschung, das aus der Fusion der ehemaligen musik­

wissenschaftlichen Institute der Universitäten Bamberg,

Erlangen und Würzburg entstanden ist. Da diese Fusion

eine Abbildung fachlicher Breite im Studium ermöglicht,

wie sie an den einzelnen Institutionen zuvor nicht gegeben

war, kommt der Studiensammlung nicht nur die Aufgabe zu,

eine historische Instrumentenkunde zu bedienen, vielmehr

agiert sie als Schnittstelle zwischen historischer, musikpäda­

gogischer, ethnomusikologischer und medientheoretischer

Arbeit der verschiedenen Ressorts.

AUS DIESEM GRUND

wird die Sammlung seit der Neu-

gründung im Jahr 2010 zunehmend erweitert. Die klassi-

sche europäische Instrumentenbaugeschichte ist für das

Studium nach wie vor ein zentraler Baustein. Der Strang

der Mechanik-Vorführmodelle, bereits von Neupert durch

eine Stiftung von historischen Klaviermechaniken begonnen,

findet eine Fortsetzung, aktuell in einem für die Sammlung

gefertigten Orgeltraktur-Modell der Orgelbau-Firma Werner

Mann. Nicht nur die hohe Anschaulichkeit vonModellen ist

für das Studium von Belang, Modelle wie die Neupert’schen

sind überdies auch Zeugen für ein Bild von Technikgeschich-

te, das es zu analysieren gilt.

Ethnomusikologische Lehre

Einen Schwerpunkt bildet der ethnomusikologische Bestand.

Mit Mitteln des 2008 eingerichteten Ethnomusikologie-

Lehrstuhls wurde eine Gruppe wertvoller japanischer

Gagaku-Instrumente und Ritual-Klangerzeuger des japani-

schen Zen-Buddhismus aus der Privatsammlung des Kölner

Musikwissenschaftlers Robert Günther erworben. Erheblich

verbreitert werden konnte der Bestand 2010 durch eine Stif-

tung des Tübingers Thomas Loelgen, der Blas- und Schlag-

instrumente weltweit gesammelt hat, der Zuwachs des

Bestandes durch Stiftungen und Ankäufe macht zunehmend

eine vergleichende Untersuchung von Instrumentenfamilien

in der Lehre möglich.

IM SINNE EINES

im 20. Jahrhunderts medial erweiterten

Begriffs von Instrument werden auch Tonträger einbezogen.

Das Schallplattenarchiv der Sammlung, das 2013 durch den

gewichtigen Nachlass des Waiblinger Pfarrers Wolfgang

Früh auf etwa 30000 Einheiten erweitert wurde, reicht von

den 1930er- bis zu den 1980er-Jahren und erstreckt sich auf

etliche Sparten. Das Archiv bildet nicht nur eine willkom-

mene Erweiterung des Aufnahmenvolumens am Institut,

sondern stellt in seinen Detailprofilen, etwa mit einer um-

fangreichen Gruppe von Singles, einen kulturgeschichtlich

spannenden Objektbestand dar.

Als Ort für Klanginstallationen und in der mediengeschicht-

lichen Forschung – die Sammlung kooperiert eng mit dem

Atelier Klangforschung, einer Einrichtung der Würzburger

Professur für Musik der Gegenwart. Ein aktuelles Beispiel ist

das Harald-Bode-Melochord, ein experimenteller Synthesi-

zer von 1947 aus demBesitz des Bonner Phonetikers Werner

Meyer-Eppler. Die Klangmodelle, die der experimentelle Wis-

senschaftler mit dem Instrument herstellte, prägten zutiefst

die Startphase der elektronischenMusik amNWDR in Köln,

darüber hinaus repräsentierte das bereits modular gedachte

Instrument ein elementares Konzept moderner elektroni-

scher Studioproduktion. Das berühmte Relikt wird dieses

Jahr in Kooperation mit der HTWBerlin teilrestauriert und

inWürzburg als dokumentiertes Objekt museal aufbereitet.

Text:

Oliver Wiener

© Institut für Musikforschung der Universität Würzburg