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aviso 4 | 2015

ZUKUNFT STADT

COLLOQUIUM

Erfolgs zeichnen sich Arbeiter auf Bau-

stellen ab, die mit einfachsten Geräten

hantieren. Der Schweizer Fotograf por-

trätiert Einzelpersonen, die unter rauen

Arbeitsbedingungen und notdürftig un-

tergebracht, ein Wirtschaftssystem und

eine Gesellschaftsschicht stützen, an der

sie selbst nicht teilhaben. Wie eine Reise

zurück in eine andere Zeit erscheint die

Rückkehr der Wanderarbeiter in die Hei-

matdörfer. Durch die Fokussierung auf

individuelle Lebensbedingungen inner-

halb des gesellschaftlichen Systems der

Millionenstädte zeigt Seibert nur einen

Ausschnitt der gegenwärtigen sozialen

Struktur und bildet sie dennoch ab. Bleibt

man beimBild vom »touristischen Blick«,

wird das Panoramabild der Skyline an den

Rändern brüchig, schließt man die ausge-

grenzten Kontexte mit ein.

INDIVIDUELLE FÄHRTEN IM

STADTGEWIMMEL

Die Stadtporträts des portugiesischen

Fotografen und Filmemachers Nuno Cera

erfüllen zugleich das erwartete, erinnerte

und bekannte Bild der Megacity, um es

dann insofern zu brechen, dass er inner-

halb des Stadtgewimmels eine ganz in-

dividuelle Fährte aufnimmt und diese

weiter verfolgt: Shanghai nähert er sich

von oben, Jakarta vomHotelzimmer und

Dubai und Los Angelos vom Auto aus.

Cera produziert damit subjektive, gelenk-

te Bilder, die von Stimmungen getragen

werden. In jeder Stadt wird durch die ver-

schiedenen Blickwinkel der Aufnahmen

ein spezifischer Zugang deutlich und ein

»Bild der Stadt« transportiert. Trotz der

weltweiten Homogenisierung der Stadt-

strukturen im Zeitalter der globalisierten

Megacities zeichnen sich in der Nahsicht

Regionalismen und Identitätsmerkmale

ab – versteht man Städte nach Martina

Löw »als sozial konstruierte Phänome-

ne«, die Eigenlogiken folgen, welche sich

im gebauten Umfeld materialisieren.

Fotografien, die die ortsspezifischen so-

zialen Zwischenräume der Stadtgefüge

festhalten, werden damit ein unablässi-

ges Medium zur Analyse von Stadt und

Gesellschaft. Auch die in Lagos ent-

standenen Fotografien Julian Röders

bilden die Stadtstruktur der nigeriani-

schen Millionenstadt in ihrer stetigen

»Transformation« ab – so der Titel der

Serie. Röder dokumentiert das sich permanente Wiederholen von

Chaos und Ordnung, von geschaffenen Systemen und deren Über-

formung.

KARTONS, DIE PRIVATRAUM SCHAFFEN

Auf jenes Zusammenspiel von Gesellschaft und städtischem Raum an

Beispielen von verschiedenen afrikanischen Städten konzentriert sich

die Bildserie des Niederländers Lard Buurmann. Die Bilder erzählen von

der Aneignung der Straßen und Plätze durch die Menschen; Öffentlich-

keit und Privatraum verschmelzen – und von der Professionalisierung der

Improvisation. Markus Lanz dokumentiert in einer Bildserie aus Brasilien

die Schaffung eines privaten Ortes inmitten des Stadtraums durch mini-

malste Mittel. Ausgelegte Kartons in Grünanlagen zwischenWohnblöcken

bilden behelfsmäßig Schutz für Obdachlose. Die Bilder zeigen Spuren von

Menschen, die buchstäblich amRande der Gesellschaft leben und zugleich

gegenwärtiger Teil von ihr sind. Die Fotografien von Julian Röder, Lard

Buurmann, Andreas Seibert und Markus Lanz sind nicht als anklagende

Sozialstudien zu interpretieren und bieten auch keine lösungsorientier-

ten, politischen Ansätze. Sie sind vielmehr Dokumentation eines Selbst-

verständnisses von Lebensraum und dessen Gestaltung.

© Courtesy of the artist: Nuno Cera & EDP Foundation, Lisbon | Julian Röder |

Lard Buurman, supported by the Mondrian Fund | Markus Lanz