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Johannes X. Schachtner, *1985,

lebt nach seinem Studium

in München und Stipendien­

aufenthalten in Bamberg und

Paris als freischaffender Diri-

gent und Komponist im Süden

von München. In seinem viel-

seitigen kompositorischen

Oeuvre beschäftigt er sich regel-

mäßig mit zeitgenössischen

Texten. Den Bayerischen Kunst­

förderpreis erhielt Schachtner

2014.

johannesxschachtner.com

Norbert Niemann, *1961 in

Landau an der Isar, lebt nach

seinem Studium der Germa­

nistik, Musikwissenschaft, Ge-

schichte als Schriftsteller

am Chiemsee und in München.

Zuletzt erschienen 2014 sein

Roman

Die Einzigen

und 2017

sein Essay

Erschütterungen.

Literatur und Globalisierung

unter dem Diktat von Markt

und Macht.

Er hat immer wieder

Texte für Musik verfasst, u. a.

2011

Politisches Lied

oder

Musicophilia nach Oliver Sacks

2012. Nach dem Ingeborg-

Bachmann-Preis 1997 erhielt er

vor vielen weiteren namhaften

Auszeichnungen 1998 den

Bayerischen Kunstförderpreis.

norbert-niemann.de

Norbert Niemann: Die Beziehung zwischen Musik, Sprache

und Literatur spielt in der Musikgeschichte eine gar nicht zu

überschätzende Rolle. Schon immer sind Gedichte, religiöse

Texte vertont worden, und aus Geschichten werden seit langem

Opern. In SchachtnersŒuvre gibt es darüber hinaus noch einen

anderen Bezug zur Literatur: die Transformation literarischer

Stoffe und Inhalte ins Instrumentale. Dabei handelt es sich we-

niger um Programmmusik, sondern buchstäblich um Über-

setzungen ins Klangliche. Das zeigen die ausgewählten Stücke.

I would prefer not to

von 2018 ist ein

Monolog für Posaune.

Der

Titel stammt aus Herman Melvilles weltberühmter Erzählung

Bartleby

von 1853. In der Literaturgeschichte ist es die erste

Schilderung der Lebenswirklichkeit eines Menschen in mo-

dernen, subalternen Arbeitsverhältnissen. Bartleby arbeitet als

Schreibgehilfe bei einem Anwalt in der Wall Street, das heißt,

er kopiert schriftlich den lieben langen Tag Akten. Sein ständig

wiederholter Satz: »Ichmöchte lieber nicht« ist Ausdruck einer

so radikalen Weigerung, als Mensch und Wesen an der ent-

fremdeten Berufswirklichkeit teilzunehmen, dass er schließlich

an ihr zugrunde geht. In Johannes Schachtners Komposition

möchte die Posaune – das ist ihr deutlich anzuhören – die ein-

mal gewählte Tonhöhe lieber nicht verlassen. Die

Etüde über das

Gedicht Schtzgrmm von Ernst Jandl für Trompete in C

von 2004

reagiert auf Jandls lautmalerische Poesie: DurchWeglassen der

Vokale wird dort das Erlebnis des Frontsoldaten verarbeitet.

Wie in der Musik sind in Jandls Lyrik Klang und Vortrag un-

trennbar mit dem schriftlichen Material verbunden, und die

Trompete bietet sich als Signalinstrument hier an. Schließlich

bezieht sich

Jägarna på Karinhall. Burleske für Tenor-Wag-

nertub

e von 2010 auf den Roman

Die Jäger auf Karinhall

von

Carl-HenningWidmark, der vonHermannGörings dekadenten

Orgien auf seinem Landgut erzählt.

Was leitet dich bei der Auswahl

der Texte für deine Kompositionen?

Johannes X. Schachtner: Oft bin ich Texten durch unterschied-

liche Umstände begegnet und sie blieben bei mir – manchmal

vergingen Jahre und dann war der im Gedächtnis gebliebene

Text der richtige für das neue Projekt. Gerade bei den älteren

Texten waren es aber auch ganz konkrete Aufträge und An-

regungen, z. B. Werke eines Dichters zu vertonen. Manch ein

Text entstand auch direkt für ein Werk. Fast immer war die

Entscheidung, ob dieser oder jener Text in Frage kommt, eine

spontane Reaktion, eigentlich nie habe ich mir für die Verto-

nung den Text wirklich erarbeitet. Insofern ist es auch für mich

eine spannende Frage, was mich genau leitet. Ich brauche für

eine Komposition immer eine Idee für die Klanglichkeit und

die scheint bei dem einen Text aufzuscheinen, bei dem anderen

Das Erklärstück

Das Erklärstück

– Sammelsurium. Musik

für Blech & Tasten

Foto: Dora Drexel, Heike Bogenberger