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AM 11. MÄRZ 2011
begann – infolge eines Erdbebens – die
Nuklearkatastrophe von Fukushima, die in der Folge verheerende
Auswirkungen auf die Menschen und Umwelt in Japan zeitigte.
Diese Katastrophe hatte weitreichende Auswirkungen nicht nur
für Japan insgesamt, sondern wirkte sich im Speziellen auch
auf die Megacity Tokyo aus. Dort hat sich in den letzten Jahren
die Zahl der Bürgerinitiativen vervierfacht, die einen alternati-
ven und nachhaltigen Lebensstil propagieren. Diese Netzwerke
lokaler Bürger entwerfen Ideen eines guten Lebens für Tokyo,
sind aber ebenso in transnationale Bewegungen eingebunden.
Die Diskurse um ein gutes Leben sind nicht unbedingt neu für
Japan, aber die Katastrophe von 2011 wirkte als Katalysator für
diese Entwicklung. Nunmehr gibt es einen verstärkten Bedarf
für ethische Debatten um Optionen für einen alternativen
Lebensstil, der demHochgeschwindigkeitslebensstil Japans und
insbesondere Tokyos entgegengesetzt wird. Schauen wir noch
auf ein zweites Beispiel, ehe wir zu den allgemeineren Überle-
gungen kommen. Eine Initiative der Münchner Kultur- und
Sozialszene hat vor mehrerenMonaten ein aufsehenerregendes
Projekt mit demNamen »Bellevue di Monaco« lanciert. Mitten
in der Münchner Innenstadt sollen drei leerstehende Häuser,
die sich imBesitz der Landeshauptstadt München befinden, zu
Gut und richtig leben in der Stadt
Wie urbane Ethiken ausgehandelt werden
Text:
Johannes Moser
einem transkulturellen Begegnungsort werden, an dem junge
Flüchtlinge und Familien wohnen sowie Ateliers, Workshop-
und Proberäume für die Kulturszene geschaffen werden. Die
Initiatorinnen und Initiatoren des Projekts versammeln sich
um die aktivistische Gruppierung Goldgrund, zu der eine ganze
Reihe prominenter Münchnerinnen und Münchner (wie Mar-
kus Rosenmüller, Mehmet Scholl, Till Hofmann, Alex Rühle,
Keno Langbein u. v. m.) gehören. Goldgrund ist nur der öffent-
lichkeitswirksamste Teil einer Bewegung (zu der etwa auch das
»Bündnis bezahlbares Wohnen« zählt, bei dem es sich um den
Zusammenschluss verschiedener engagierter Gruppierungen
handelt), welcher die Entwicklung des Münchner Immobilien-
und Wohnungsmarkts ins Visier nimmt. Interessant ist dabei,
dass es sich dabei nicht mehr (nur) umKonflikte und Debatten
geht, die auf einen marginalisierten Teil der Gesellschaft abhe-
ben. Im Zentrum steht vielmehr die von uns so bezeichnete ver-
unsicherte Mitte der Gesellschaft, die zunehmend das Gefühl
hat, sich den Wohnraum München nicht mehr leisten zu kön-
nen. Die Debatten werden aber weniger politisch als eher ethisch
geführt, wenn z. B. argumentiert wird, dass zu einer guten und
gelungenen Urbanität auch eine soziale und kulturelle Vielfalt –
eben die viel zitierte Heterogenität – gehört.
aviso 4 | 2015
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