aviso - Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern - page 9

aviso 3 | 2014
Bayern-Südtirol
bayerns verborgene schätze
|9 |
Professor Dr. Christian Illies
lehrt Praktische Philosophie an
der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.
in sie. Denn nur die Mauern stehen noch; weil sie
keine Dächer mehr haben, ist der Blick von oben
auch der Blick ins Innere. Ganz anders sind hier
Innen- und Außenperspektive verbunden, nicht
ein einzelner Raum, sondern Städte liegen vor uns,
deren Reste in Nolls Darstellung eine eigene, neue
Schönheit gewinnen. Selbst wenn dem Laien die
Linien und Muster eher wie die Hieroglyphen
einer unbekannten Sprache erscheinen, so lassen sie
doch die Wirklichkeit und Würde anderer Welten
ahnen. Friedrich Schillers 9. seiner Briefe über die
ästhetische Erziehung kommt in den Sinn, wo er von
Ruinen spricht, die noch die Ideale einer vergan-
genen Kultur verrieten: »Die Tempel blieben dem
Auge heilig, als die Götter längst zum Gelächter
dienten.« Und melancholisch fährt er fort: »Die
Menschheit hat ihreWürde verloren, aber die Kunst
hat sie gerettet und aufbewahrt in bedeutenden
Steinen.«
Ein Weg durch
den Coburger Hofgarten ist
auch eine Wanderung durch die Zeit. Von der im
Kern mittelalterlichen Veste, auf der einst Luther
weilte, führt der Weg an den barocken Pavillons
vorbei bis hinunter zu den Arkaden des Schloss-
platzes aus dem frühen 19. Jahrhundert. Und auf
der anderen Seite des Tales stellen sich Hochhäu-
ser in der geschmacklosen Banalität des späten
20. Jahrhunderts zur Schau. Mehr oder weniger
beredte »bedeutende Steine«. Auf dem Pavillon
scheint noch das Licht von heitereren Spätsommer-
tagen, und durch zerfallene Kuppeln und Mauer­
reste der Pueblo-Indianer lässt Benno Noll für einen
Moment die Schönheit einer ausgelöschten, vergan-
genen Kultur aufleuchten. Auch der Künstler hin-
terlässt in seinen Bildern viele Zeitspuren, denen der
Betrachter nachgehen kann. Schon die von Noll
gerne gewählte freskoartige Technik erzählt von der
Zeit: Weil der Kalkputz schnell bindet, mussten die
alten Maler ihre mit Wasser verrührten Pigmente
hastig »al fresco«, also in den frischen Putz malen.
Die Tafelmalerei mit Ölfarben war eine große
Erleichterung, weil man nun viel langsamer zu
Werke gehen konnte. Wenn Noll nun in Anleh-
nung an die archaische Freskotechnik seine Tafel-
bilder malt (er nutzt pigmentiertes Fermacell, das
er feucht mit Spateln auf Hartfaserplatten auf-
trägt), so dreht er die Geschichte gleichsam um. Im
Pavillon treten wir auf eine längst vergangene Bühne
einer anderenZeit. Die festgehalteneVergänglichkeit
und das Spiel mit Innen und Außen sind die beiden
Leitmotive der faszinierenden, mesmerisierenden
Arbeiten Benno Nolls. Der Pavillon öffnet Kunsträu-
me, die zum Eintreten einladen, und die man verändert,
nachdenklicher verlässt, um weiter durch den Hofgarten zu
schreiten.
Der Hofgarten ist
geprägt von der Bildungsidee des
frühen 19. Jahrhunderts, das in der künstlich veredelten
Natur einen Erfahrungsraum schaffenwollte, in demMenschen
etwas von einer idealeren Natur erleben und daran reifen kön-
nen. Er ist nicht nur bloße Natur, sondern zeigt die Schön-
heit, welche diese erreichen kann, wenn der Mensch sie als
Kunstwerk formt und zu ihrer eigentlichen Bestimmung führt.
Die Gartenkunst gibt nicht nur den Bäumen Freiraum, sich
wie die Atlas-Zeder imHofgarten ganz zu entfalten, sondern
Natur und Kulturwerke werden zugleich zu einer ästhetischen
Einheit zusammengeführt. Und wer durch diesen Garten
geht, wird zu einem idealerenMenschen »gebildet«, indem er
begreift und verinnerlicht, dass auch seine Natur durch Kul-
tur zu einer höheren Harmonie geführt werden kann. Das
ist nach Friedrich Schiller Aufgabe der Kunst, sie soll uns die
Möglichkeit einer höheren Einheit zeigen. Als dieses Kunst-
ideal schon längst am Verblassen war, hat es Rilke in seinem
bekannten Torso des Apoll noch einmal sprachlich verdich-
tet: »Denn da ist keine Stelle, die Dich nicht sieht/Du musst
Dein Leben ändern«. In diesem Sinne ist das TheatrumMundi
des Hofgartens nicht als Spektakel oder Schaubühne von
Selbstinszenierung gedacht, sondern als ein Bildungsraum.
Und in dieses
Programm einer Kunst, die den Betrach-
ter verändert, fügen sich die Kunsträume Benno Nolls ein.
Denn wer sich auf sein Vexierspiel von Innen und Außen,
von Zeitfluss und erstarrter Vergangenheit einlässt, der wird
sich selbst in besonderer Weise bewusst: Hier wird das ein-
zigartige Vermögen des Menschen erlebbar: Wir sind genuin
innen in unserem »Ich«, ein Ort, der nur uns gehört, aber
erleben uns zugleich als »Selbst«, als ein Wesen, das von
anderen wahrgenommen wird und sich ihnen auf der Bühne
des Lebens präsentiert. Wie in den Noll‘schen Räumen erfah-
ren wir uns immer schon in der Verschachtelung von Innen
und Außen, die wir in einen Einklang bringen müssen. Das
ist ein Prozess, so dass unser gegenwärtiges Ich und Selbst
der Spiegel dieser Geschichte und des Erreichten ist. Mögen
wir auch stetig fortschreiten, so sind wir in jedem Moment
auch eine erstarrte Vergangenheit wie die Gipsfreskos von
Benno Noll. In uns tragen wir die Geschichte und Geschich-
ten unseres Lebens, die uns zu diesem Ich und Selbst haben
werden lassen und dessen Spuren wir tragen. So wird der
Gartenpavillon eine moderne Fortsetzung und Teil jenes Bil-
dungsprogramms, dem wir das wohl schönste Gesamtkunst-
werk Bayerns verdanken.
1,2,3,4,5,6,7,8 10,11,12,13,14,15,16,17,18,19,...52
Powered by FlippingBook