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aviso 3 | 2014
Bayern-Südtirol
Worauf ich mich freue
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Worauf ich mich Freue
Daniel J. Schreiber
Die ersten neun
Monate als Direktor imBuchheimMuseumwaren
spannend, schön und ereignisreich. Jetzt freue ich mich auf einen Tag
Urlaub mit meiner Frau und unseren beiden Kindern. Ich stelle mir vor:
Wir schlafen aus, frühstücken, und dann geht es ab zumHauptbahnhof.
Wir machen einen Ausflug. Die Bahnfahrt dauert nur eine halbe Stunde.
Dann gehen wir an einer Kuhweide und einem Moorweiher vorbei
in den Wald. Es riecht gut. Zwischen den dunklen Baumstämmen
leuchtet hellgrün der bemooste Waldboden. Bald kommen wir an einen
verwunschenen Zaun. Ein großes Eisentor öffnet sich. Vor uns entfaltet
sich ein Landschaftsgarten mit lilienbewachsenen Weihern, lichten
Hainen und einem exotischen Pavillon. Dann öffnet sich der Blick auf
einen großen See. Eine blühende Wiese breitet sich vor uns aus. Eine
riesengroße Libelle sitzt darauf. Sie sei früher einMilitärhubschrauber
gewesen und habe dann aber eine Verwandlung vollzogen, erzählt
sie uns. Überhaupt alles erscheint ganz zauberhaft. Was ist das? Ein
holzverbrettertes Bootshaus? Ein gestrandetes weißes Schiff? Oder
doch eine Riesengitarre, deren Griffbrett weit über das Wasser ragt?
Davor steht ein Unterwasserauto, das von einer Krake umgriffen und
von Schlingpflanzen umwoben wird. Darin sitzt einMann. Wir gruseln
uns ein bisschen. Wer ist das? Im Innern des Bauwerks ist alles ganz
hell und freundlich. Ein Schwan fliegt durch die Eingangshalle. Auf
ihm sitzt eine Runde uralter Leute, die aus der Zeit gefallen sind. Eine
Herde von Karussellpferden galoppiert aufgeschreckt durch die Luft.
Wir steigen über ein Fallreep hinab und finden ein Taxi aus einem
anderen Kontinent, in dem es Menschen aufnahm, die vor Hunger und
Gewalt fliehen mussten. Nun hat es seine Arbeit getan. Eine Gruppe
afrikanischer Elefantenmenschen weist uns den Weg zu einem Café.
Irgendetwas stimmt hier nicht. Die Leute bewegen sich nicht; und sie
sehen komisch aus: ein Herr mit Schweinsgesicht, der einen Frauenkopf
an der Leine führt, ein hochdekorierter General, aus dessen Schuhen
kleine Zwerge klettern, eine naschende Gruppe
altertümlicher Damen. Dort hinten solle es einen
Zirkus geben, flüstern sie, der aus lauter kleinen
Holzfiguren bestehe. Auf Knopfdruck würden
sie lebendig. Wir versuchen es. Es stimmt! Eine
Jahrmarktsorgel pfeift. Tiere und Akrobaten
drehen sich imKreis. Wir kommen in einen großen
Saal. Auf den weißen Wänden leuchten Bilder.
Ihre reinen Farben lassen unser Herz schneller
schlagen: ein flammendes Rot, ein kräftiges Grün,
ein tiefes Blau. Wir erkennen glühende Bergketten
vor kühler Vegetation, einen schlafendenMann in
flirrender Hitze, eine schöne Nackte mit zartem
Teint am Ufersaum. Wie kann es sein, dass ein
bisschen farbiger Staub und etwas Bindemittel auf
Leinwand solch starke Eindrücke hinterlassen?
Das ist das Wunder der Malerei. Dann setzen wir
uns in die gelben Liegestühle auf den Steg, blicken
über den See auf die Alpenkette und warten auf
den Ozeandampfer, der hier in unserer Vorstellung
bald anlegen wird. Wir sind imBuchheimMuseum
der Phantasie. Die Bayerische Seenschifffahrt und
der MVV bringen uns wieder nach Hause. Am
nächsten Tag darf ich diesen Traum in meiner
Arbeit mit einem fabelhaften Team fortspinnen.
Daniel J. Schreiber
ist seit August 2013
Direktor des Buchheim Museums der Phantasie
in Bernried.
© S. Rumpf/SZ Photo
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