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aviso 3 | 2014
Bayern-Südtirol
bayerns verborgene schätze
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Kunst statt Schokolade
Ein Gartenpavillon des Coburger Hofgartens als Bilderraum
Text:
Christian Illies
Kunst muss beschritten
werden. Auch das nachweislich schöns-
te Gesamtkunstwerk Bayerns, der Coburger Hofgarten, teilt sich nur
den Gehenden mit. Der Park erstreckt sich vom Platz zwischen Schloss
Ehrenburg, demBiedermeiertheater und den Arkaden bis hinauf zur mit-
telalterlich anmutenden hohen Veste mit ihren reichen Schätzen. Jeder
Schritt gewährt neue Ausblicke durch das Grün auf die immer kleiner
werdende Residenzstadt, die unten wie ein TheatrumMundi ihr Stück
aufführt. Der Hofgarten ist Teil dieser Inszenierung und überrascht mit
heiteren oder dramatischen Einfällen, mit offenenWiesen und Dickicht,
mit Denkmälern, Brunnen oder einem von zwei Sphinxen bewehrten
Mausoleum, die zwischen mächtigen Buchen, Eichen und Trompeten-
baum erscheinen, den Schritt bedächtiger werden lassen, und wieder
abtreten. Auf halber Höhe dann die beiden barocken Gartenpavillons,
von denen aus man wie aus einer Loge dem Schauspiel zuschauen kann.
Hier saß Franz Josias, Herzog von Sachsen-Coburg-Saalfeld und Gene-
ral der kaiserlichen Armee, mit seinen Kavalieren und Hofdamen beim
Nachmittagstee. Man kann sich vorstellen, wie ein junges »Schokola-
denmädchen«, ähnlich dem, dessen anmutige Schönheit Jean-Étienne
Liotard in seiner Pastellzeichnung festhielt, heißen Kakao servierte, wäh-
rend über den Sitzenden die Blätter der Pappeln im Spätsommerwind
leise klingend schwirrten.
Das Porzellangeschirr ist längst abgeräumt und der westliche Garten­
pavillon hat nach langem Dornröschenschlaf eine neue Aufgabe. Im
Innern findet man heute zwischen drei mächtigen Skulpturen des
19. Jahrhunderts eine noch junge Kunstwelt, die man mit den Augen
genauso ›begehen‹ muss wie denHofgarten vor den hohen Fenstern. Es
sind Arbeiten des Künstlers Benno Noll, der seit 2013 diesen Pavillon
als Atelier und Ausstellungsraum nutzt. Das große Thema vieler seiner
Werke ist der Raumund seine Bilder und Aquarelle
laden ein zu künstlerischen Ortsbegehungen ande-
rer Art. Sie zeigen Zimmer, Säle oder Bibliotheken,
die sich in seltsamer Leere vor uns auftun. Dar-
gestellt in matten Brauntönen auf unregelmäßi-
gemGipsgrund haben die großen Tafelbilder kaum
perspektivische Schatten und Tiefen; sie erinnern
an die mit rötlicher Sinnopia ausgeführten Vor-
zeichnungen der alten Freskenmaler. Noll gelingt
so eine faszinierende Verschränkung von Innen und
Außen: der Blick geht in den dargestellten Raum
ohne wirkliche Tiefe, und die Oberfläche hat
zugleich den harten Charakter der verputzten
Außenwand eines Hauses. Die Sujets spielen diese
Verschränkung von Innen und Außen weiter. Noll
beschwört Räume, als wolle er uns Formen des
Menschseins zeigen, die uns in ihrer fremden Größe
überragen. In Nolls Aquarellen aus den letzten Jah-
ren wird das Thema solcher einladend-abweisenden
Räume mit einer anderen Technik variiert. Angeregt
durch Fotos des Luftbildarchäologen Georg Gerster
malt er detailgetreue Darstellungen von Ruinen-
stätten, antiken Tempeln oder einem Pueblodorf
der Indianer im Chaco-Canyon. Aus großer Höhe
fotografiert, durch teilweise verlaufende Farben und
zugleich scharfe Linien verfremdet, wirken sie oft
wie abstrakte Farbmuster, die sich erst beim nähe-
ren Hinschauen erschließen. Man erblickt Spuren
vergangener Welten, schaut auf sie und zugleich
Fotos: Dieter Ertel, Coburg
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