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Verpasste Ausstellungen addieren sich einem auf’s Gewissen.

Auf mein Gewissen ständig. Kleine und große Schauen, Retro-

spektiven, neuesteWerke, alles, was kracht, pengt, mich hierhin

und dorthin lockt und locken will und locken soll. Eigentlich

ist es ein großes Vergnügen, sich die Programme der Museen,

Galerien, Sammlungen anzusehen und den eigenen Kalender

damit zu bestücken. Allerdings passiert bei allemEhrgeiz, vieles

davon wahrzunehmen, genau das Gegenteil. Zu den amAnfang

des Jahres eingeschriebenen Orten und Anlässen trägt man mit

der Zeit den Zahnarzttermin, die Fahrradreparatur, den Be-

such, die Krankheitstage, die Gesprächstermine und das große

Undsoweiter des Lebens ein. Oft stimmt es mich traurig, weil

ich einen anderen Anspruch an mich habe, aber mit jedem Jahr

etwas älter und hoffentlich weiser, realisiere ich, dass nicht al-

les geht, was angenehm wäre. In den heißen Tagen boten die

großenMuseen zum einmaligen Kunstgenuss in der Regel auch

Kühlung. Viele kleine Museen haben diesen Vorteil nicht, da

wünschte sich das Personal und vielleicht sogar das ein oder an-

dere Exponat selbst mehr Frischluft und zwangsläufig auch die

Besucherinnen und Besucher. Dabei sind es gerade die kleinen

Museen, Galerien und Sammlungen, die mit Herzblut geführt

und oftmals ohne weitere Finanzmittel geführt werden. Oft-

mals ist die Lage so eingeschränkt, dass die Führung nichts in

Werbung investieren kann und man kaum je erfährt von diesen

Stuben voller Preziosen, den Menschen, die sie sammeln und

zusammenstellen und hüten.Was in der Literatur oft als liebens-

wert kauzig geschildert wird, ist Wesen und Charakter solcher

Einrichtungen, die in den Kräften und Visionen ihrer Betreiber

gründen. Mund-zu-Mund-Propaganda ist oft der einzige Weg

für solcheHäuser, Bekanntheit zu erlangen undmanche werden

geradezu legendäre Geheimtipps einer Region. Meine Eltern

betreiben ein solches Haus: das Kunsthaus Rehau, das mit einer

halben Stelle von der Stadt unterstützt wird. Auch werden Rei-

nigung und Räumlichkeiten von der Stadt im Tausch gegen das

elterliche Engagement und mit der Sicherheit der Sammlung

Eugen Gomringers in petto verwaltet. Mit spezieller Ausrich-

tung auf konstruktiv-konkrete Kunst scheint das Haus nicht für

alle gleich automatisch beliebte Adresse, aber der Skulpturen-

park davor und die vieleMale im Jahr wechselnden Ausstellun-

gen, in der Regel vom Triumvirat Eugen, Stefan und Nortrud

Gomringer kuratiert und betreut, locken nun seit fast 20 Jahren

Kunstfreunde und Neugierige wenn nicht aus der Region, so

doch aus der ganzen Welt. Oft staune ich, wo man dieses Haus

bestens kennt und alle seine inneren Bewegungen sehr wohl

wahrnimmt. In Bamberg gibt es das E.T.A. HoffmannHaus, das

vom unbändigen Engagement Dr. Bernhard Schemmels und

seiner Partnerin Hiltrud Huhn lebt. Das Haus ist Erlebnis- und

Museumsstätte, das hilft, den Satiriker, Autor, Komponisten

Hoffmann als äußerst produktiven Bamberg-Langzeitbesucher

auszumachen. Die starkenMotive in seinen Schriften kommen

besonders zur Geltung: das Vexierglas, die dunkle Seite der Ro-

mantik, das Entwerfen einer Kulturkritik, die bis heute nichts an

Bissigkeit undHumor eingebüßt hat. Eine befreundete Kollegin,

die Autorin Allison Amend, die in New York City lebt, hat ein-

mal ein Jahr ihres Lebens unter das Motto: „Alle Museen der 5

Boroughs“ gestellt undmit einemFreund das ehrgeizige Projekt

verfolgt, alle Museen, groß und winzig klein, aufzusuchen. In

einem Blog hat sie vom Projekt und ihrem Scheitern berichtet,

denn es war den beiden unmöglich, alle Museen zu besuchen.

Was aber, wenn man nie die Aussicht hat, große Ausstellungen

zu erleben, der Mona Lisa quasi Aug-in-Auge zu begegnen?

Auch Künstlerinnen und Künstlern ist der recherchierende

Blick in echte Museumsräume und damit über den Tellerrand

oft verwehrt. Das Internet, überhaupt die digitale Welt bietet

zahlreiche Möglichkeiten zum Stöbern, Anregen-Lassen und

veritable eigens für die 1-0-1-Welt geschaffeneWerke, die es zu

entdecken gilt. Nehmen Sie Cindy Sherman, die ihren Account

bei Instagramwie eineGalerie betreibt, eigeneWerke zeigt, aber

vor allem Werke, die sie extra für diese Art der „Ausstellung“

erarbeitet. Zahlreiche Künstlerinnen undKünstler lassen in ihre

Ateliers blicken, zeigen Bilder imRohzustand, auf demWeg zur

Vollendung, machen sich angreifbar mit spannenden Aktionen

und Bildern wie die Performerin, Malerin und als Regisseurin

agierende Sophia Süßmilch aus München. Mir will es scheinen,

als ob mehr Frauen die Plattform des Internets nutzen, um den

intellektuellen und ästhetischen Austausch über ihre Arbeiten

zu suchen. Museen bieten z. T. interaktive Führungen an, in

denen Besucher mit dem Tablet vor den Bildern die Geschich-

ten der Bilder über den Rahmen hinaus erfahren. Das Digitale

schenkt uns eine ganzeWelt.Wie und obwir sie entsprechend –

eben auchmit Blick auf Risiken und Chancen – nutzen, zeigt die

Zeit. Leider zeigtemir die Zeit auch, dass ich die grandiose Aus-

stellung des ghanaischen Bildhauers El Anatsui in Münchens

Haus der Kunst allerdings nun umein paar Tage verpasst habe…

Das ist schon fast sträflich. Seine riesigen, raumfüllenden tex-

til-anmutenden Metallarbeiten sehen auf den zahlreichen Bil-

dern der Besucherinnen und Besucher auf Instagram schon

unglaublich aus.

Klicken Sie’s mal nach!

Nora-Eugenie Gomringer

Über, in und um die Künste –

Nora Gomringer meint

Nora-Eugenie Gomringer, Schweizerin und Deutsche, lebt in Bamberg.

Sie schreibt, vertont, erklärt, souffliert und liebt Gedichte. Alle

Mündlichkeit kommt bei ihr aus dem Schriftlichen und dem Erlausch-

ten. Sie fördert im Auftrag des Freistaates Bayern Künstlerinnen

und Künstler internationaler Herkunft. Dies tut sie im Internationalen

Künstlerhaus Villa Concordia. Und mit Hingabe.

nora-gomringer.de

Über, in und um die Künste

Verpasste Ausstellungen