12.September1997 162/97

Kultusminister Zehetmair zum Beginn des Schuljahrs 1997/98

Wer die Medien in den vergangenen Wochen und Monaten verfolgt hat, könnte glauben, daß es für den Kultusminister und sein Haus derzeit kein anderes Thema gibt als die Rechtschreibreform. Der Eindruck täuscht, und ich freue mich, dies heute dokumentieren zu können. Von den Zahlen her bietet das neue Schuljahr keine großen Überraschungen: An den Volksschulen wird die Schülerzahl von 846 365 auf knapp 860 000 und damit um etwa 1,5 Prozent ansteigen. Dabei betrifft der Schülerzuwachs heuer zum letzten Mal nur die Grundschule, wo wir rund 13 000 Buben und Mädchen mehr unterrichten werden. Auffällig ist dabei der große Zuwachs bei den Schulanfängern. Ihre Zahl wird voraussichtlich um 5000 auf 138 400 ansteigen. Allerdings wird die Zahl der ABC-Schützen den Prognosen zufolge bereits im nächsten Schuljahr erstmals wieder sinken. Trotzdem ist der Gipfel der Schülerzahl an der Grundschule erst im Schuljahr 1999/2000 erreicht. In den kommenden Jahren wird sich der Schülerzuwachs zunehmend in die anderen Schularten verlagern.

Im neuen Schuljahr werden wir insgesamt ca. 35 320 Klassen an den Volksschulen bilden, 635 mehr als im letzten. Damit können fast alle zusätzlichen Schüler durch neue Klassen versorgt werden. Im Klartext: Die Klassen sind trotz steigender Schülerzahl nicht größer geworden, die durchschnittliche Klassengröße liegt weiterhin bei 24,4. Im Vergleich zum Vorjahr ist sowohl die Zahl der "Mini-Klassen" wie auch die Zahl der Klassen mit über 30 Kindern zurückgegangen.

Die Einstellungssituation an den Hauptschulen ist mit einer Quote von 92,6 Prozent als recht gut zu bezeichnen. Während wir im Hauptschulbereich 489 von 528 Bewerbern beschäftigen können, hat sich die Situation im Grundschulbereich wegen der stark angewachsenen Bewerberzahl weiter verschlechtert. Da bereits im letzten Jahr nicht mehr alle Bewerber für das Grundschul-Lehramt eingestellt werden konnten, mußte eine Warteliste eingerichtet werden. Von den diesjährigen Einstellungsmöglichkeiten entfallen rund 40 Prozent auf die Wartelistenbewerber, was sich zwangsläufig auf die Einstellungschancen der Prüflinge aus dem laufenden Jahrgang auswirkt. So konnten wir von den 609 Wartelistenbewerbern heuer fast die Hälfte (277) beschäftigen. Allerdings ist die Gesamtquote im Grundschulbereich mit 35,7 Prozent alles andere als erfreulich. Unter Einbeziehung von befristeten Arbeitsverträgen können von den 2080 Bewerbern der Grundschule 743 beschäftigt werden.

Auch an den Förderschulen wird die Schülerzahl steigen, und zwar um etwa 2200 auf 59 500 (+ 3,8 Prozent). Dank der 133 neuen Planstellen, von denen 76 für die Bildung neuer Klassen verwendet werden, werden im kommenden Schuljahr die wesentlichen Parameter - Schülerhöchstzahl pro Klasse, Lehrerstundenzuweisung, Rahmenbedingungen für die Schulvorbereitenden Einrichtungen und die Berufsschulen für Behinderte - weitgehend unverändert belassen. Ein wichtiger Akzent, auf den ich vor dem allgemeinen Hintergrund besonders hinweisen möchte, ist der Ausbau der präventiven und integrativen sonderpädagogischen Angebote. Hierfür werden wir die mobilen sonderpädagogischen Hilfen für Kinder in den Kindergärten um 18 Heilpädagogen und die Mobilen Sonderpädagogischen Dienste für Schüler an den allgemeinen Schulen um 57 Sonderschullehrer aufstocken. Dank dieser Maßnahmen können wir in diesem Jahr erneut die Zuwachsrate der Schüler an den Volksschulen für Behinderte auf unter 5 Prozent senken. Die Einstellungssituation ist in diesem Bereich erfreulich problemlos: Alle 290 Bewerber für das Lehramt an Sonderschulen mit Einstellungsnoten bis 3,50 konnten in den staatlichen Schuldienst übernommen werden.

Erneut etwas stärker als erwartet steigen die Schülerzahlen an den Realschulen, und zwar um etwa 4 000 Schüler (+ 2,82 Prozent). Insgesamt erwarten wir an den Realschulen rund 145 900 Schüler, 1 800 mehr, als in der Schülerprognose vorhergesagt wurden. An den staatlichen Realschulen liegt der Zuwachs bei etwa 3 000 Schülern, für die wir etwa 60 zusätzliche Klassen bilden können. Daneben müssen wir allerdings auch bestehende Klassen auffüllen, so daß die durchschnittliche Klassenstärke leicht steigen wird (von 27,7 auf 28,1). Die Einstellungssituation im Realschulbereich ist weiterhin schwierig. Wir können hier, wie beim Gymnasium, nur die freiwerdenden Stellen wiederbesetzen. Das bedeutet, daß voraussichtlich 42 Planstellen sowie 30 Stellen mit 2/3-Verträgen und der Zusage der Verbeamtung nach spätestens zwei Jahren besetzt werden können. Dazu kommen 120 befristete Aushilfsverträge.

Erneut unter den Prognosen bleibt die Entwicklung der Schülerzahlen am Gymnasium. Wir werden hier im kommenden Schuljahr etwa 4 600 Schüler zusätzlich unterrichten (+ 1,53 Prozent). Damit sind im kommenden Schuljahr rund 304 700 Schüler zu erwarten (Vorjahr: 300 100). Dieser Wert bleibt um 700 Schüler hinter dem zurück, der in den Prognosen vorhergesagt wurde. Wie bei den Realschulen werden wir auch hier den Schülerzuwachs nur zum Teil durch die Bildung zusätzlicher Klassen auffangen können. Ansonsten müssen wir uns durch Auffüllen der bestehenden Klassen behelfen, so daß die durchschnittliche Klassenstärke von 27,0 auf 27,5 steigen wird. Dagegen wird die Unterrichtsversorgung zu Beginn dieses Schuljahres aufgrund der 95 bewilligten 2/3-Verträge und des Kapazitätsgewinns durch die Reduzierung der Altersermäßigung wieder sehr gut sein. Die Einstellungssituation ist auch am Gymnasium unverändert schwierig und richtet sich nach dem Ersatzbedarf. Insgesamt werden wir im kommenden Schuljahr 284 Bewerber fest anstellen können, hinzu kommen 97 Anstellungen mit Zweijahresvertrag (2/3-Vertrag), die wir bis September 1999 in Verbeamtungen umwandeln werden.

Wie in der Vergangenheit liegen im Bereich der beruflichen Schulen noch keine verläßlichen Zahlen vor. Dies gilt heuer wegen der angespannten Lehrstellensituation umso mehr. Auch haben erfahrungsgemäß noch nicht alle Jugendlichen ihre Berufsentscheidung getroffen, in mehreren Schularten laufen die Anmeldefristen deshalb bis Unterrichtsbeginn. Dennoch läßt sich sagen, daß die Zeiten sinkender Schülerzahlen auch hier vorbei sind. Sieht man einmal ab vom Zuwachs an den Fachoberschulen, so dürfte die Schülerzahl unter dem Strich weitgehend stabil bleiben. Die Einstellungssituation an den beruflichen Schulen ist mit einer Einstellungsrate von 55 Prozent der Bewerber des laufenden Prüfungsjahrgangs vergleichsweise noch gut. Von insgesamt 303 Bewerbern des laufenden Prüfungsjahrgangs erhielten 168 ein Angebot auf Übernahme.

Fazit: Knapp 2 700 junge Lehrer werden im Schuljahr 1997/98 neu ihren Dienst aufnehmen. Auffälligste Veränderung im neuen Schuljahr ist der Anstieg bei den ABC-Schützen (+ 5 000), verbunden mit einem deutlichen Schülerzuwachs an den Grundschulen insgesamt (+ 13 000). In diesem Bereich sehen wir allerdings bereits den Berggipfel: Im nächsten Schuljahr soll die Zahl der Anfänger erstmals seit Jahren wieder sinken. Anders als bei Realschulen und Gymnasien wird es zu keiner Vergrößerung der Klassen kommen, im Gegenteil: die Zahl der Klassen mit über 30 Kindern geht an den Volksschulen - auch wieder anders als in den anderen Schularten - zurück.

Möglich wurde dies einmal durch die Kapazitätsgewinne aus der Reduzierung der Altersermäßigung, die wir nach langen Verhandlungen bei den Schulen belassen konnten. Damit haben wir die gleiche Zahl an Stellen erhalten, die eigentlich eingespart werden sollten, nämlich 353 Zwei-Drittel-Stellen für dieses Schuljahr und noch einmal 33 für das Schuljahr 1998/99. Hier standen bekanntlich auch andere Vorstellungen im Raum.

Möglich wurde die Erhaltung der Klassengrößen aber auch dadurch, daß im kommenden Schuljahr die erste Hälfte der vor zwei Jahren beschlossenen Maßnahmen aus dem Kienbaum-Gutachten umgesetzt wird. Dazu gehört vor allem die Kürzung der Stundentafel der Grundschule in der Jahrgangsstufe 2 um eine Unterrichtsstunde. Hierzu wurden keine Lehrplanreduzierungen vorgenommen. Im Grundlegenden Unterricht schien es uns pädagogisch sinnvoller, wenn die Lehrkräfte der jeweiligen Situation ihrer Klasse entsprechend vorgehen und Reduzierungen in eigener Verantwortung vornehmen.

Ich habe diese Kürzungen sehr ungern zugelassen, sie waren aber unumgänglich, um den enormen Schülerzuwachs in den letzten Jahren aufzufangen. Ich habe gleichzeitig immer erklärt, daß diese Maßnahmen nicht auf Dauer angelegt sind und dann, wenn ein Ende des Schülerzuwachses abzusehen ist, hinterfragt werden müssen. Ich tue dies nun bereits in der Grundschule. Ab dem Schuljahr 2000/01, also in drei Jahren, werden dort die Schülerzahlen erstmals nach 15 Jahren etwas zurückgehen. Deshalb habe ich vor, der Grundschule einen erheblichen Teil der hier gekürzten Unterrichtsstunden sukzessive wieder zurückzugeben. Dies läßt sich organisatorisch günstig umsetzen, da für die Grundschule voraussichtlich im Jahr 2000 ein überarbeiteter Lehrplan eingeführt werden soll, dem ich dann eine wieder ausgeweitete Stundentafel zugrunde legen möchte. Dieser Stundentafelentwurf befindet sich derzeit in der öffentlichen Anhörung.

Die Wiederherstellung der Stundentafel an der Grundschule ab 2000 ist eines der Schwerpunktziele für die nächsten Jahre. Generell strebe ich an, den Stand der Unterrichtsversorgung des Jahres 1993/94 schrittweise für alle Schularten wiederherzustellen, sobald der Schülerzuwachs seinen Zenit erreicht hat. Dies wird nicht möglich sein bei der Lehrerarbeitszeit und bei der Reduzierung der Altersermäßigung. Im übrigen hat die Wiederherstellung des Unterrichtsangebots Priorität vor der Senkung der Klassenrichtzahlen.

Was die Bedarfsdeckung für die nächsten Jahre angeht, so kommen nicht in Betracht: eine weitere Erhöhung der Klassenrichtzahlen, Eingriffe in die Stundentafel, weitere Maßnahmen unter der Überschrift "Kienbaum" sowie eine weitere Reduzierung der Altersermäßigung. Das Lehrdeputat soll weitgehend unverändert bleiben. Damit bleiben zwei Möglichkeiten, um den weiteren Schülerzuwachs zu bewältigen: zusätzliche Planstellen ab 1999 und ein verpflichtendes Ansparmodell, das für die einzelnen Schularten unterschiedlich gestaltet werden kann - je nach Nähe oder Ferne des Schülermaximums. Die Ansparphase sollte auf keinen Fall länger sein als fünf Jahre und mit dem Schülermaximum enden.

Die zweite Kienbaum-Maßnahme, die im kommenden Schuljahr erstmals Auswirkungen hat, ist die Umstellung des Differenzierten Sportunterrichts (DSU) bzw. des Erweiterten Basissportunterrichts (EBSU), also die Kürzung der dritten und ggf. vierten Sportstunde in den Jahrgangsstufen 5 mit 11. Diese Maßnahme ist in der Öffentlichkeit auf viel Kritik gestoßen. Vielfach wurde dabei auch der Eindruck erweckt, als handle es sich hier um einen bayerischen Alleingang. Tatsache ist: die anderen Länder hatten von vorneherein keine 4. Stunde Sport, sondern häufig nur zwei, höchstens drei Stunden. Unsere zwei Stunden Basissport bleiben völlig unangetastet. Den DSU werden wir zu knapp 75 % des bisherigen Umfangs halten können. Bei Konzentration des DSU auf die Jahrgangsstufen 5 und 6 (insbesondere in der Hauptschule) können diese Klassen bis zu 2 Stunden DSU haben.

Ich habe die Regierungen gebeten, zum Planungsstand Anfang August über die vorläufige Umsetzung dieses Unterrichts zu berichten. Danach werden im kommenden Schuljahr an den Volksschulen voraussichtlich 10 378 Wochenstunden EBSU bzw. DSU erteilt. Das entspricht 74 Prozent der im Schuljahr 1996/97 erteilten Differenzierten Sportstunden. Besonders möchte ich darauf hinweisen, daß wir in diesem Bereich 150 arbeitslose Grund- bzw. Hauptschullehrer mit insgesamt 1 225 Wochenstunden anstellen können. Die zur Verfügung gestellten Finanzmittel können - anders als im Vorfeld vielfach vermutet - in allen Regierungsbezirken vollständig ausgeschöpft werden. Ich möchte noch auf ein weiteres Detail hinweisen: Meiner Ankündigung entsprechend werden die durch die Reduzierung der Altersermäßigung gewonnenen Stunden im Hauptschulbereich voll dem Sport zugeführt. Für die Situation an den anderen Schularten habe ich derzeit noch keine präzisen Zahlen. Fest steht allerdings, daß auch hier die vom Landtag zur Verfügung gestellten Mittel voll ausgeschöpft werden.

Ein Blick auf die Neuerungen im kommenden Schuljahr zeigt, daß wir diesmals einen besonderen Schwerpunkt auf den Bereich der beruflichen Bildung gelegt haben. Das liegt nicht etwa daran, daß hier besondere Defizite zu beklagen wären. Ursache ist vielmehr der Strukturwandel in der Wirtschaft, dem wir uns anzupassen haben. Gerade im Zusammenhang mit der Lehrstellenproblematik wird in Bonn und in gewissen Kreisen der Wirtschaft manchmal so getan, als dürste der Arbeitsmarkt geradezu nach zusätzlichen Schulabgängern. Hemmnisse bestünden lediglich in der beruflichen Bildung. Dies entspricht nicht den Tatsachen. Tatsache ist vielmehr, daß Teile unserer Wirtschaft dabei sind, den Ast abzusägen, auf dem sie sitzen, weil sie gutausgebildete Lehrlinge primär als Kostenfaktor sehen und nicht als Garanten für die Zukunft ihrer Unternehmen. Im zweiten und dritten Jahr der dualen Berufsausbildung haben wir ohnehin nur einen Berufsschultag in der Woche, wo immer dies möglich ist. Im übrigen brauchen wir keine schnellere, sondern eine breitere Ausbildung, um flexibel auf die Anforderungen reagieren zu können.

Insbesondere stehen wir auch in der beruflichen Bildung vor einem Modernisierungsschub. 50 Prozent der Lehrlinge werden derzeit noch im produktionsabhängigen Bereich ausgebildet, während die Wirtschaft faktisch nur noch 25 Prozent auf diesem Sektor beschäftigen kann. Das bedeutet, daß wir uns verstärkt auf den Dienstleistungsbereich und auf die Informations- und Telekommunikationstechnik konzentrieren müssen. Deshalb führen wir auch im neuen Schuljahr im Rahmen des "Beschäftigungspaktes Bayern" eine Maßnahme fort, mit der wir die Situation auf dem Lehrstellenmarkt verbessern wollen: Die im vergangenen Jahr neu errichteten vier staatlichen Berufsfachschulen für Assistenten für Informatik haben sich als Erfolg herausgestellt. Dieses Ausbildungsangebot des Freistaats mit 120 Plätzen wird auch heuer wieder sehr gut angenommen.

Der Stützung des Ausbildungsstellenmarktes dienen auch die Klassen des Berufsvorbereitungsjahres, von denen wir im letzten Jahr 130 an den Berufsschulen eingerichtet hatten. Auch heuer haben wir an den Berufsschulen organisatorische und personelle Vorbereitungen getroffen, um der starken Nachfrage nach dem Berufsvorbereitungsjahr gerecht werden zu können. Sollte sich in diesen Tagen herausstellen, daß die Zahl der geplanten Klassen nicht ausreicht, werden im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel weitere Klassen gebildet.

Zum 1. August 1997 hat die Bundesregierung knapp 50 Ausbildungsordnungen neu erlassen. Um diese Vielzahl von Neuordnungen unverzüglich an den bayerischen Berufsschulen umsetzen zu können, werden seit diesem Jahr neben den Lehrplänen besonders für Ausbildungsberufe mit geringeren Schülerzahlen sogenannte vorläufige Lehrplanrichtlinien erstellt. Ziel dieser Arbeit ist es, die im Rahmenlehrplan vorgegebenen Inhalte den entsprechenden Unterrichtsfächern zuzuordnen und zeitlich zu gewichten. Damit war es möglich, alle für Bayern relevanten neuen Rahmenlehrpläne rechtzeitig zum Schuljahresbeginn in bayerische Lehrpläne bzw. vorläufige Lehrplanrichtlinien umzusetzen. Dies gilt insbesondere für vier neue Ausbildungsberufe im Informations- und Kommunikationsbereich. Um die Schaffung neuer Ausbildungsplätze zu unterstützen, sind wir bereit, bei neuen Berufen in der Anfangsphase die Schülermindestzahl je Klasse flexibel zu handhaben und soweit wie möglich auf die Einrichtung überregionaler Sprengel zu verzichten.

Zur Einrichtung neuer Ausbildungsberufe kommen neue inhaltliche Akzente bei den bestehenden. Dazu gehört etwa die stärkere Förderung von überfachlichen Qualifikationen, den sogenannten Schlüsselqualifikationen. Der abgeschlossene Modellversuch "Fächerübergreifender Unterricht in der Berufsschule" hat Erkenntnisse gebracht, die wir jetzt umsetzen wollen. Derzeit sind für je einen Ausbildungsberuf im Berufsfeld Metalltechnik und im Berufsfeld Elektrotechnik neue Lehrpläne in Arbeit. Das berufliche Lernen soll künftig nicht mehr in den herkömmlichen Fächern, sondern in inhaltlich zusammengehörenden, thematisch gegliederten Lernfeldern erfolgen. Die Lernziele sind somit nicht ausschließlich an fachlichen Ergebnissen orientiert, sondern beziehen auch Lern- und Arbeitsprozesse der Schüler mit ein. Bereits im letzten Schuljahr wurden zur Förderung des fächerübergreifenden, handlungsorientierten Unterrichts insgesamt 60 Unterrichtseinheiten von ausgewählten Schulen erarbeitet, erprobt und dokumentiert. Diese Unterrichtseinheiten können ab dem kommenden Frühjahr über das Bayerische Schulnetz abgerufen werden.

Ich will noch zwei weitere Beispiele dafür anführen, wie wir die berufliche Bildung den geänderten Anforderungen anpassen. Das eine ist der "Modellversuch zur Verbesserung der Kooperation zwischen Berufsschullehrern und Ausbildern im Dualen System der Berufsausbildung" (Kobas), der im Frühjahr angelaufen ist. Untersuchungen haben gezeigt, daß sich die Zusammenarbeit zwischen Lehrern und Ausbildern bislang weitgehend auf die Durchführung der Berufsabschlußprüfungen erstreckt. Besondere Bedeutung kommt diesem Versuch deshalb zu, weil sich bei der Ausbildung in den letzten Jahren ein Widerspruch ergeben hat: Einerseits ist die Gesamtausbildungsdauer von drei bis dreieinhalb Jahren gleichgeblieben, andererseits wurde trotz ständig steigender inhaltlicher Anforderungen wegen der Arbeitszeitverkürzungen die zur Verfügung stehende Gesamtausbildungszeit reduziert.

Das zweite Beispiel ist die Reform von Fachoberschule und Berufsoberschule. Noch vor der Sommerpause hat der Bayerische Landtag eine Änderung des BayEUG beschlossen, mit der der Schulversuch Dreistufige Berufsoberschule in das reguläre Schulsystem integriert wird. Strukturell beinhaltet die Reform eine eindeutige Aufgabenteilung zwischen der FOS, die ihre Schüler mit mittlerer Reife ohne Berufsausbildung in zwei Jahren zur Fachhochschulreife führt, und der neuen Berufsoberschule (BOS), in der alle beruflich Vorgebildeten, die eine Hochschulzugangsberechtigung anstreben, zusammengefaßt werden. Damit haben wir - auf der Basis eines achtjährigen Schulversuchs - den Weg für Hauptschulabsolventen mit Quabi zur Hochschulreife geebnet: nach einem Jahr zur Fachhochschulreife, nach zwei Jahren zur fachgebundenen, mit Zusatzprüfung in einer zweiten Fremdsprache zur allgemeinen Hochschulreife.

Ich halte dies für einen bedeutsamen Schritt, um die berufliche Bildung als gleichwertige und attraktive Alternative zum Gymnasium noch stärker in das Bewußtsein einer breiten Öffentlichkeit zu bringen. Bereits in diesem Schuljahr nehmen an 39 Standorten in Bayern die neuen Berufsoberschulen mit reformierten Lehrplänen und Stundentafeln den Unterrichtsbetrieb auf.

Natürlich ist die Bereitstellung von Ausbildungsstellen in erster Linie Aufgabe der Wirtschaft. Wenn ich hier relativ ausführlich auf Neuerungen im Bereich der beruflichen Bildung eingegangen bin, so aus zwei Gründen: 1. Von seiten der Bildungspolitik sind wir bereit, alles zu tun, um etwaige Ausbildungshemmnisse zu beseitigen. 2. Die Schuldzuweisungen und Rezepte, die manchmal von Politikern, aber auch von seiten der Wirtschaft verbreitet werden, sind zu einfach. Allein mit einer Reduzierung von Ausbildungszeit und -inhalten ist weder der Wirtschaft noch den jungen Menschen geholfen. Gerade mit Blick auf die Initiativen der Bildungspolitik, aber auch die der Wirtschafts- und Sozialpolitik appelliere ich insbesondere an die Wirtschaft in Nordbayern, zu prüfen, ob nicht da und dort Ausbildungskapazitäten frei sind, die genützt werden könnten.

Auch in den anderen Schularten wird es im kommenden Schuljahr eine Reihe von Neuerungen geben. Hinweisen möchte ich im Volksschulbereich insbesondere auf die Ausweitung des Fremdsprachenunterrichts an den Grundschulen. Weil Frau Schmidt dies im Jahre 1997 als SPD-Forderung entdeckt hat, möchte ich kurz rekapitulieren: Wir haben 1995 einen vierjährigen Schulversuch abgeschlossen, auf dessen Basis wir 1996 an insgesamt 168 Grundschulen in Bayern verbindlich ab der Jahrgangsstufe 3 eine Fremdsprache anboten (113 Englisch; 32 Französisch; 23 Italienisch). Mit Beginn dieses Schuljahrs können wir diese Fremdsprachen an 212 Grundschulen anbieten (147 Englisch; 40 Französisch; 25 Italienisch). Dieses Angebot wollen wir schrittweise ausbauen - schrittweise deshalb, weil man hierzu auch entsprechend qualifizierte Lehrkräfte braucht. Schrittweise bauen wir auch im kommenden Schuljahr die Mittagsbetreuung an Volks- und Förderschulen aus. Zu den bestehenden 500 Betreuungsgruppen kommen 100 weitere hinzu, so daß wir nun an 20 Prozent aller Volks- und Förderschulen das Angebot einer zuverlässigen Betreuung über Mittag haben.

Eine weitere Neuerung an der Grundschule scheint mir vor dem Hintergrund der Debatte um den Differenzierten Sportunterricht von Interesse: In diesem Herbst beginnen wir mit dem Konzept "Bewegte Grundschule", einer Initiative, die wir mit Unterstützung des Bayerischen Gemeindeunfallversicherungsverbandes und der AOK Bayern ins Leben gerufen haben. Mit dieser Initiative wollen wir den Belastungen des Sitzens und des Bewegungsmangels entgegenwirken. Das Konzept sieht u.a. eine ergonomische Gestaltung des Lernraumes, bewegte Pausengestaltung, eine Rhythmisierung des Schultages durch den Wechsel von Anspannung und Entspannung sowie entsprechende Schulaktionen vor. Die ersten Materialien zur Umsetzung dieses Konzepts werden in wenigen Wochen vorliegen. Regionale, lokale und schulhausinterne Fortbildungen sollen die Einführung der Initiative begleiten.

Wichtigste Neuerung an der Hauptschule ist die Einführung eines neuen Lehrplans und einer neuen Stundentafel. Dies sehe ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge: Mit dem neuen Lehrplan haben wir die Voraussetzung für einen schülerorientierten, konkret-anschaulichen, handlungs- und projektorientierten Hauptschulunterricht geschaffen. Weniger erfreulich ist, daß wir das Unterrichtsangebot in der Jahrgangsstufe 5 - und im nächsten Schuljahr auch in Jahrgangsstufe 6 - um jeweils zwei Stunden reduzieren müssen.

Der neue Hauptschullehrplan umfaßt nun auch den endgültigen Lehrplan für die freiwillige 10. Klasse, die es inzwischen überall in Bayern in zumutbarer Entfernung gibt. Etwa 2 500 Schüler werden diesen Weg zum mittlerlen Schulabschluß im neuen Schuljahr gehen. An 91 von den 95 angebotenen Standorten konnten 10. Hauptschulklassen eingerichtet werden. Anders sieht es beim Schulversuch sechsstufige Realschule aus, bei dem wir vor allem die Frage der Entlastung der Gymnasien und die Auswirkungen der sechsstufigen Realschule auf die Hauptschulstruktur noch genauer untersuchen wollen. Hierzu wird der Schulversuch mit Beginn dieses Schuljahres um weitere 24 Realschulen auf abgegrenzte Versuchsgebiete in Schwaben/Oberbayern und Oberfranken/Unter-franken ausgeweitet. Mit Beginn dieses Schuljahres werden 4 450 Schülerinnen und Schüler neu in die sechsstufigen Realschulen aufgenommen, so daß dann insgesamt 10 624 Schüler an 61 Realschulen am Versuch teilnehmen. Am Schuljahresende erwarten wir weitere wichtige Aufschlüsse über den Versuch, wenn die Schulen der ersten Versuchsreihe - neun private Realschulen - erstmals an der Abschlußprüfung der Realschulen teilnehmen.

Im Zusammenhang mit den Neuerungen möchte ich noch ein weiteres Thema anschneiden, das die SPD in diesem Jahr neu entdeckt hat und in dem sich - zusammen mit den Fremdsprachen an Grundschulen - das bildungspolitische Alternativkonzept der Opposition erschöpft: die neuen Medien. Auch wenn es zweifellos nötig sein wird, die Zahl der Computerplätze kontinuierlich zu erhöhen, können wir gerade auf diesem Gebiet eine rasante Entwicklung verzeichnen. Neuestes Beispiel: Für den Aufbau und die Nutzung eines bayerischen Schulsystems hat die Staatsregierung im Rahmen von Bayern Online II 10 Millionen Mark aus Privatisierungserlösen zur Verfügung gestellt. Das Konzept sieht vor, allen bayerischen Schulen über das "Bayernnetz" einen preiswerten Netzzugang zum Citytarif zu ermöglichen. An den Schulen fördern wir eine Zusatzausstattung mit dem Ziel, die Möglichkeiten der Telekommunikation in der einzelnen Unterrichtsstunde verfügbar zu machen. Dieses Angebot ist bei den Schulen auf enorme Resonanz gestoßen: Über 600 bayerische Schulen haben konkrete Unterrichtsprojekte vorgeschlagen und eine Zusage der Förderung bei der Beschaffung spezieller Hardware erhalten. Daneben werden vermutlich über 500 Schulen eine Förderung durch die Bundesinitiative "Schulen ans Netz" erhalten, zumeist über eine Gebührengutschrift für Einstiegsprojekte. Wir erwarten, daß im neuen Schuljahr rund zwei Drittel der in Frage kommenden 3 000 Schulen über einen Telekommunikationsanschluß verfügen, den sie im Unterricht einsetzen können. Pilotprojekte wie "Schulischer Einsatz multimedialer interaktiver Systeme", "Multimedia für Hörsprachgeschädigte", "Multimedia von Schülern für Schüler" oder die Erweiterung der Schulbibliothek zu einem Multimedia- und Online-Zentrum sollen gezielt pädagogisch-didaktische Fragen im Zusammenhang mit dem Einsatz der neuen Medien klären.

Gerade auch in Zeiten, in denen die Rahmenbedingungen schwieriger geworden sind, sollten wir uns nicht damit begnügen, Schule zu verwalten. Natürlich will ich mehr Planstellen, kleinere Klassen, ein möglichst ausgewogenes Unterrichtsangebot. Wir dürfen uns aber nicht nur um die quantitativen Probleme kümmern. Genauso wichtig ist die qualitative Weiterentwicklung des bayerischen Schulwesens. Die internationale Vergleichsstudie, in der die Schülerleistungen in Mathematik untersucht wurden, hatte quasi als Nebeneffekt zum Ergebnis, daß Bayern im innerdeutschen Vergleich auf einem guten Weg ist. Wenn, wie die Autoren der Studie herausgefunden haben, bayerische Schüler vor ihren nordrhein-westfälischen Altersgenossen einen Leistungsvorsprung von eineinhalb Jahren aufweisen, so sehe ich darin auch eine Bestätigung für Differenzierung, frühzeitige begabungsgerechte Förderung im gegliederten Schulwesen, für Leistungsorientierung und systematisches fachliches Lernen.

Das soll uns nicht daran hindern, über eine zukunftsorientierte Weiterentwicklung des bayerischen Schulwesens nachzudenken. Das Kultusministerium veranstaltet zu diesem Zweck am 29. und 30. April kommenden Jahres einen Bildungskongreß in München. Auf diesem Kongreß werden Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Medien, Schulpraxis und Elternschaft nach Antworten auf aktuelle Herausforderungen suchen. Dazu gehören wichtige Themen wie "Motivation und Qualifikation durch begabungsgerechtes Fordern und Fördern im gegliederten Schulwesen"; "Neue Lernkonzepte"; "Erziehung in der Schule angesichts gesellschaftlicher Entwicklungen und Erwartungen"; "Professionalität des Lehrers" und "Evaluation der Schule und Schulentwicklung". Die Ergebnisse dieses Kongresses wollen wir als Beitrag Bayerns in die Diskussion der Länder um die Zukunft der Schule einbringen.

Zum Schluß doch noch ein paar Worte zum Thema "Rechtschreibreform": Sachstand ist der, daß sich mittlerweile die Gerichte mit großem Erfolg der Rechtschreibreform angenommen haben. Der aktuelle juristische Spielstand lautet, wenn ich mich nicht irre 6:5 oder 7:6 - diese Zahlen bitte ohne Gewähr! Dabei mußten sich die Gerichte noch gar nicht mit den Inhalten beschäftigen, sondern ausschließlich mit der Frage, ob das Verfahren für die Einführung der Neuregelung rechtmäßig ist.

Keine juristischen Probleme gab es in der Vergangenheit damit, daß mehr als 40 Jahre lang ein privatwirtschaftlicher Verlag - übrigens im Auftrag der vielgeschmähten Kultusministerkonferenz - festlegte, wie ein Wort geschrieben wird und welche orthographischen Regeln sich ändern bzw. welche Ausnahmen zuzulassen sind. Erst als die Kultusminister in Übereinstimmung mit diesem Verlag der Meinung waren, daß das in dieser Zeit entstandene Dickicht von Ausnahmen soweit zurückgeschnitten werden sollte, daß für die lernenden jungen Menschen die Regeln wieder sichtbar werden, begann der Ärger. Zeitweise hatte man im vergangenen Jahr den Eindruck, die 3 Regeln und 14 Ausnahmen für das Komma vor Infinitiv und nebengeordneten selbständigen Sätzen, die zehn Festlegungen für die Schreibung von drei gleichen Konsonanten und Vokalen bei der Wortzusammensetzung oder die Regel "Trenne nie st, denn das tut ihm weh!" könnten zum unverzichtbaren Kulturgut erklärt werden.

In den Schulen hat sich die Situation von Anfang an anders dargestellt. Mein Haus hatte in mehreren Schreiben, in den Lehrer- und Elternzeitschriften sowie durch eine bereits im Juli 1996 erschienene Handreichung des ISB die Betroffenen frühzeitig informiert. So konnte je nach den örtlichen Verhältnissen zügig über den Zeitpunkt der Einführung entschieden werden. Bereits Ende November letzten Jahres gab es erste Rückmeldungen, die auf eine unaufgeregte und von Schülern und Lehrkräften positiv aufgenommene schulische Umsetzung deuteten. Dies hat sich bei einer Umfrage bei den Regierungen und den Ministerialbeauftragten zum Schuljahresende in vollem Umfang bestätigt. Bei einer weiteren, vom ISB durchgeführten Untersuchung von Deutschaufsätzen gaben die Lehrer auf die Frage, ob die Neuregelung beim Erlernen und Anwenden der Rechtschreibung eine Erleichterung bringe, für die ausgewerteten 20 Klassensätze 19 mal ein positives Votum ab.

Auch die Behauptungen, die Neuregelung stelle einen Kulturbruch dar, weil sie literarische Werke bei der Angleichung bis zur Unkenntlichkeit verändere, erwies sich bei genauerem Hinsehen als unzutreffend. Eine im Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung durchgeführte Untersuchung klassischer Texte von Goethe, Kleist und Stifter zeigte, daß die bisher ganz selbstverständliche Angleichung an den jeweiligen Stand der Schreibung bei weitem mehr Änderungen des "Urtextes" bewirkt hat als die aus der Neuregelung resultierenden. Die Angleichung an die Neuregelung erfordert z. B. bei Kleist und Stifter - abgesehen von der als rein typographische Frage einzuschätzenden s-Schreibung - jeweils weniger als 10 Änderungen auf mehr als 33 000 Wörter. Ein klares Ergebnis: Die Gegner haben weit übertrieben und dabei auch viele Schriftsteller der Gegenwart verunsichert, wenn nicht gar instrumentalisiert.

Und wie steht es mit den berühmten Unterschieden zwischen den Wörterbüchern? Ein am Institut für deutsche Sprache vorgenommener exemplarischer Vergleich der beiden führenden Wörterbücher am Beispiel des Buchstaben "h" ergibt 35 Differenzen. Sie betreffen hauptsächlich Trennungen. So gibt der Duden nur die Variante "His-tamin" an, während Bertelsmann zusätzlich auch "Hist-amin" angibt. Beides entspricht den neuen Regeln. Damit ist das ohne statistische Belege ins Feld geführte Argument, die Neuregelung habe zu 8 000 oder gar 16 000 Abweichungen zwischen den Wörterbüchern geführt, widerlegt. Ein Vergleich des Dudens von 1991 und des Knauer-Wörterbuchs von 1992 zeigt darüber hinaus, daß der Umfang der "Abweichungen" beim Buchstaben "h" mit 29 Fällen damals ähnlich groß war.

Was die immer wieder vorgebrachte Behauptung betrifft, die Kultusminister hätten eine "einsame Entscheidung" getroffen und säßen nun auf dem "hohen Roß", so sollte man schon einmal darauf hinweisen, daß im Vorfeld der internationalen Vereinbarung alle Lehrerverbände, alle Elternverbände, alle gesellschaftlich relevanten Gruppen und natürlich auch die Schriftstellerverbände um ihre Stellungnahme gebeten worden waren, daß neben der Kultusministerkonferenz auch die Ministerpräsidentenkonferenz zugestimmt hat, ebenso der Bund, daß ich hierzu eine Regierungserklärung im Bayerischen Landtag gegeben habe. Ich glaube nicht, daß es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland eine andere Vereinbarung von so geringem Umfang und so minimalen Auswirkungen gibt, zu der eine solche Vielzahl von Stellungnahmen eingeholt wurde.

 

Bayerisches Staatsministerium
für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst
Toni Schmid, Pressereferent