12. September 1996

Kultusminister Zehetmair zum Beginn des Schuljahres 1996/97: Weiterhin mehr Schüler, mehr Klassen, aber auch noch einmal fast 800 neue Lehrerplanstellen

Erwartungsgemäß werden wir im kommenden Schuljahr erneut mehr Buben und Mädchen an Bayerns Schulen unterrichten. 134 450 Abc-Schützen gehen am Dienstag erstmals in die Grundschule, etwa 3 150 mehr als im letzten Jahr. Und weil die Zugänge derzeit die Abgänge deutlich übersteigen, erwarten wir auch insgesamt einen spürbaren Zuwachs bei den Schülerzahlen: an den Grund- und Hauptschulen von knapp 829 500 auf über 844 670, also über 15 000 Kinder mehr, an den Förderschulen beträgt die Zunahme 2 800 Kinder (rund 5 Prozent), an den Realschulen etwa 4 300 und an den Gymnasien ca. 3 100. Lediglich an den Berufsschulen stagniert die Schülerzahl noch. Der Schülerzuwachs von insgesamt etwa 25 000 Kindern kommt nicht unerwartet. Er bewegt sich weitgehend im Rahmen der Prognosen, sieht man einmal von den Realschulen ab, wo er mit 1 600 deutlich darüberliegt.

Im Volksschulbereich werden die Klassenstärken durch diesen Zuwachs allerdings nur geringfügig (von durchschnittlich 24,2 auf 24,4) ansteigen, weil wir den Großteil - etwa zwei Drittel - durch die Bildung zusätzlicher Klassen versorgen können (+ 388). Auch an den Förderschulen werden wir 160 neue Klassen bilden, so daß auch hier die durchschnittliche Klassenstärke nur leicht von 11,3 auf 11,5 ansteigt. An den Realschulen und Gymnasien konnten wir die Zahl der Klassen nicht entsprechend erhöhen, so daß hier die Klassenstärken mit 27,9 (von 27,3) bzw. 27,4 (von 26,7) deutlicher zunehmen.

Dabei braucht sich Bayern auch in diesem Jahr bei den Lehrereinstellungen keineswegs zu verstecken. Mehr als 2 500 junge Lehrkräfte erhalten mit Beginn dieses Schuljahres eine Anstellung. Noch einmal konnten wir 790 zusätzliche Lehrerplanstellen verteilen - 370 an die Volksschulen, 130 an die Förderschulen, 100 an die Realschulen, 110 an die Gymnasien und 80 an die Berufsschulen. Diese Zahlen werden mit Ausnahme von Baden-Württemberg von keinem Land in der Bundesrepublik auch nur annähernd erreicht. Ich betone dies ausdrücklich, weil die Diskussion über die Lehrereinstellungen in Bayern in eine Schieflage geraten ist, die in offenem Widerspruch zu den Tatsachen steht. Im Gegensatz zu fast allen anderen Ländern stellt Bayern nicht weniger Lehrer ein als in den Vorjahren, was zur Folge hat, daß wir erneut alle Bewerber für die Lehrämter an Hauptschulen und Förderschulen übernehmen können.

Wenn dies heuer erstmals seit langer Zeit im Bereich der Grundschulen nicht möglich war, so lag das nicht an irgendwelchen Sparmaßnahmen, sondern daran, daß die Zahl der Bewerber unverhältnismäßig stark gestiegen ist. Immerhin war es nachträglich möglich, 60 von den nicht übernommenen Grundschullehrern aus dem Prüfungsjahrgang 1996 einen Aushilfsvertrag im Förderschulbereich anzubieten, 35 davon als Ersatz für Förderschullehrer, die ihren Dienst nicht angetreten haben, 25 weitere aus Aushilfsmitteln, für die es keine Bewerber aus dem Förderschulbereich gab. Bleibt als Fazit die Bemerkung eines Lehrers aus Schleswig-Holstein, der in einem Leserbrief schrieb: "So prekär die Lage in Bayern auch sein mag, ich wünschte, in unserem Bundesland wäre sie nur vergleichbar miserabel." Was die Unterrichtsversorgung im kommenden Schuljahr angeht, so ist die Lage weder prekär noch miserabel, sondern weitgehend gut bis sehr gut.

Diese Feststellung gilt leider weder für die Entwicklung der öffentlichen Einnahmen noch für die Beurteilung der wirtschaftlichen Situation. Ich habe in den zurückliegenden Jahren immer wieder darauf hingewiesen: Die Schulen produzieren die Probleme eines Landes nicht, sie können sie auch nicht lösen. Sie spiegeln sie jedoch, und nicht selten wird der Spiegel getadelt, weil das Abbild nicht gefällt. Damit ist die Schule betroffen und muß reagieren. In den zehn Jahren, in denen ich nunmehr für die Schulen im Freistaat Bayern Verantwortung trage, habe ich zahlreiche Beispiele hierfür erlebt: von der Bedrohung unserer Umwelt über die Aids-Gefahr bis hin zum Siegeszug des Computers und der neuen Medien. Dinge, die man vor 20 Jahren nicht einmal erahnen konnte, sind mittlerweile selbstverständlicher Bestandteil aller Lehrpläne. Derzeit rollt ein neues Problem auf uns zu, das vor allem für die Jüngeren unter uns völlig ungewohnt ist: die Auswirkungen der unverändert angespannten wirtschaftlichen Lage aufgrund des Strukturwandels.

Für die Schulen bedeutet dies zunächst: Obwohl eigentlich wegen steigender Schülerzahlen mehr Geld benötigt wird, müssen wir mit den gleichen finanziellen Ressourcen zurechtkommen. Wir werden uns in den kommenden Jahren auch selbst immer wieder fragen müssen, inwieweit sich die Beschwörungen, den "Rohstoff Geist" zu fördern, auch in entsprechenden Haushaltsprioritäten niederschlagen. Ein weiteres, noch größeres Problem, das sich Eltern und Kindern zunehmend stellen wird, ist die Frage, welche Richtung sie im Hinblick auf ihre berufliche Zukunft einschlagen sollen. Wer die Nachrichten in den letzten Monaten verfolgt hat, muß sich fragen, welchen Rat man einem jungen Menschen im Hinblick auf seine berufliche Zukunft noch geben kann. In vielen Teilen Deutschlands wird ein Lehrstellenmangel beklagt. Viele Betriebe übernehmen längst nicht mehr die Lehrlinge, die sie ausgebildet haben. Im Bereich der akademischen Bildung wird mittlerweile fast überall gewarnt: vor zu vielen Ärzten, zu vielen Juristen, zu vielen Journalisten, zu vielen Lehrern, Maschinenbauern usw. Wohin also mit den vielen, möglichst immer schneller ausgebildeten, jungen Leuten, die einmal unsere Renten erarbeiten sollen?

Eines ist sicher: Weniger als je zuvor in der Nachkriegsgeschichte unseres Landes können wir den jungen Menschen Garantien für ihre berufliche Zukunft geben. Jeder, der heute ein Studium oder eine berufliche Ausbildung beginnt, muß damit rechnen, daß er nach deren Beendigung auf einem ganz anderen Gebiet seinen Lebensunterhalt verdienen wird. Was bislang in Deutschland - im Gegensatz etwa zu den USA - die Ausnahme darstellte, wird nun auch bei uns zur Regel. Studien- und Lehrplatzentscheidung sind nicht mehr automatisch identisch mit der Berufswahl. Damit spielen Faktoren wie Einkommenserwartung, soziale Sicherheit, Prestige u.ä. zum Zeitpunkt der Entscheidung für eine Ausbildung längst nicht mehr die Rolle, die ihnen früher zukam. Wer künftig noch ein Arzt-, Jura- oder Lehramtsstudium aufnimmt, sollte dies ausschließlich deshalb tun, weil ihn die jeweilige Tätigkeit interessiert, wobei er wissen muß, daß er in Konkurrenz zu anderen steht, für die das gleiche gilt.

Für die Schulpolitik hat diese Entwicklung zur Folge, daß die Vermittlung eines möglichst breiten Fundaments an Allgemeinbildung heute wichtiger ist als je zuvor und jede frühzeitige Spezialisierung schädlich wäre. Ich sehe in dieser aktuellen Forderung nicht nur eine Bestätigung der bayerischen Bildungspolitik, sondern auch die Notwendigkeit, unsere Unterrichtsinhalte beständig danach auszurichten. Vor diesem Hintergrund erklärt sich meine Skepsis gegenüber vielen Vorschlägen, die in den letzten Monaten für Aufsehen sorgten. Dazu gehört die Forderung nach einer Einschulung schon mit fünf Jahren genauso wie die nach einer generellen Kürzung der Berufsschule oder der Streichung des 13. Schuljahres am Gymnasium. Nicht wenige dieser Vorschläge sind schon deshalb graue Theorie, weil weder die Hochschulen noch der Arbeitsmarkt derzeit danach dürsten, möglichst gleich zwei Absolventenjahrgänge auf einmal aufnehmen zu dürfen. Im übrigen habe ich nicht selten den Eindruck, daß vor allem solche Leute gerne besonders weitreichende Vorschläge machen, die nie eigene Kinder hatten.

Die meisten Neuerungen, die die bayerischen Schüler in diesem Schuljahr erwarten, sind im Zusammenhang mit den gewandelten Anforderungen an die Schule zu sehen. Dazu gehört etwa die Verbesserung der Fremdsprachenkompetenz von der Grundschule über die Realschule (bilingualer Sachunterricht) bis zur Berufsschule. Im neuen Schuljahr wird an nunmehr 165 Grundschulen in Bayern fremdsprachlicher Unterricht erteilt. Die abgeschlossenen Schulversuche "Maßnahmen zur Suchtprävention im Grundschulalter" und "Erstlesen mit Computerunterstützung" wollen wir bald landesweit umsetzen. Um die Gesundheitserziehung zu verbessern, wollen wir in diesem Schuljahr mit der "Bewegten Grundschule" beginnen, mit der den Kindern zum Ausgleich für das viele Sitzen vielfältige Bewegungsanreize gegeben werden. Um die Beachtung dieses Programms bitte ich insbesonders jene, die nun schon seit Monaten mit dem - zweifellos berechtigten - Hinweis auf zunehmende körperliche Mangelerscheinungen für die Beibehaltung des Sportunterrichts am Nachmittag im bisherigen Umfang kämpfen.

An den Gymnasien tritt mit Beginn dieses Schuljahres eine Änderung der Schulordnung in Kraft. Darin wird u.a. die Wahlbeschränkung für das dritte Abiturprüfungsfach aufgehoben und das Wahlfachangebot flexibilisiert. Die für die Gymnasiasten wohl erfreulichste Neuerung ist allerdings die Herabsetzung der Schulaufgabenzahl in einer Reihe von Fächern und Jahrgangsstufen.

Für besonders wichtig halte ich in diesem Jahr die Maßnahmen zur Stützung des Ausbildungsstellenmarktes im Bereich der beruflichen Schulen. Im Rahmen des "Beschäftigungspakts Bayern" soll die Situation auf dem Lehrstellenmarkt vor allem durch den Ausbau des Angebots an Berufsschulen verbessert werden. Dazu wurden vier staatliche Berufsfachschulen für Assistenten für Informatik mit 120 Ausbildungsplätzen gegründet. Die Ausbildung zum Assistenten bzw. zur Assistentin für Informatik setzt den mittleren Schulabschluß voraus und dauert zwei Jahre. Den Absolventen bieten sich vor allem in mittelständischen Betrieben berufliche Perspektiven. Für die neuen Schulen stellt der Freistaat insgesamt 2,4 Millionen Mark zur Verfügung. Die Schulen wurden in Lichtenfels, Roth, Schweinfurt und Weiden eingerichtet und decken damit Arbeitsamtsbezirke ab, in denen die Zahl der noch nicht vermittelten Bewerber deutlich über der Zahl der noch unbesetzten Stellen liegt.

Die zweite wichtige Maßnahme in diesem Zusammenhang betrifft das Berufsvorbereitungsjahr. In Verhandlungen mit der Bundesanstalt für Arbeit wurde erreicht, daß die Maßnahmen der Bundesanstalt und die Berufsvorbereitungsjahre der Berufsschulen aufeinander abgestimmt werden. Die Maßnahmen der Arbeitsverwaltung erfassen vor allem Jugendliche mit besonderem pädagogischen Förderbedarf. Die Berufsschule wiederum wird sich mit dem Berufsvorbereitungsjahr vorrangig derjenigen Jugendlichen annehmen, die in erster Linie wegen der Lehrstellensituation keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. Sollte sich in diesen Tagen herausstellen, daß die Zahl der geplanten Klassen nicht ausreicht, werde ich weitere Klassen bilden lassen. Die Staatsregierung hat hierfür im Doppelhaushalt 1997/98 zusätzlich zwei Millionen Mark zur Verfügung gestellt.

Zu einer grundlegenden Allgemeinbildung gehört mittlerweile ganz selbstverständlich auch der Umgang mit den Möglichkeiten von Telekommunikation und Multimedia. Auch auf diesem Gebiet haben die bayerischen Schulen schon traditionell eine Vorreiterrolle, bisher hat noch kein Land mit seinen Initiativen das bayerische Tempo übertroffen. Nunmehr wird die Staatsregierung für diesen Bereich rund 10 Millionen Mark zur Verfügung stellen. Ein guter Teil dieser Mittel wird aus der zweiten Tranche der Privatisierungserlöse aufgebracht. Mit dieser Investitionsoffensive wollen wir den Schulen den Sprung ins Informationszeitalter erleichtern. Die Ausgangslage an unseren Schulen ist relativ günstig: bereits heute werden etwa 67 000 Rechner an 3 000 bayerischen Schulen für die informationstechnische Bildung genutzt, rund ein Viertel dieser Schulen verfügt über ein lokales Netzwerk, und rund 20 Prozent besitzen einen Telekommunikationsanschluß. Unser Konzept sieht nun vor, allen bayerischen Schulen über das "Bayernnetz", dem Kommunikationsnetz der Staatsregierung, einen Netzzugang zum Ortstarif zu ermöglichen. Dies wird in Zusammenarbeit mit den inzwischen 55 Bürgernetz-Vereinen geschehen, denen die Staatsregierung im Rahmen der Initiative "Bayern Online" freie Kapazitäten des Bayernnetzes und Zugang zum Internet bis Ende 1998 zur Verfügung gestellt hat.

In einem ersten Schritt soll in Augsburg ein zentraler Schulserver für das neue "Bayerische Schulnetz" eingerichtet werden. Dieser Server wird in erster Linie landesspezifische Informationen für die Schulen anbieten. Weitere Server sollen in München und Bayreuth installiert werden, wo das Staatsinstitut für Schulpädagogik und Bildungsforschung (ISB) und die Landesbildstellen Informationen und Materialien zu Unterrichtsthemen für Lehrer und Schüler erstellen. Mit Hilfe dieser Infrastruktur sollen an verschiedenen Schulen aller Schularten Pilotprojekte zum Einsatz der neuen Medien im Unterricht durchgeführt werden. Bei diesen Projekten wird es auch um pädagogisch-didaktische Fragen des Einsatzes der neuen Medien gehen. Vorgesehen ist zudem ein Projekt "Multimedia von Schülern für Schüler", bei dem die Schüler selbst Multimedia-Programme zu erstellen lernen. Ferner soll im Unterricht Zugriff und Verwendung kommerzieller Wirtschaftsdatenbanken und berufsspezifischer Software eingeübt werden. In das Konzept einbezogen ist auch der Bereich Lehrerfortbildung. Zu diesem Zweck wird die Akademie für Lehrerfortbildung über das Bürgernetz Dillingen an das Bayernnetz angeschlossen, so daß sich Lehrer künftig auch auf elektronischem Wege fortbilden können.

Mehr als solche Investitionen stehen derzeit allerdings Sparmaß- nahmen im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Hierzu waren gerade in den Wochen vor den Ferien große Berichte in den Medien zu finden, viele davon ungenau, manche sogar falsch. Deshalb möchte ich feststellen: Das Schuljahr 1996/97 wird von den Vorschlägen, die aus dem Kienbaum-Gutachten umgesetzt werden sollen, praktisch nicht berührt. In diesem Schuljahr werden überhaupt nur zwei Maßnahmen notwendig, um die Unterrichtsversorgung sicherzustellen. Sie betreffen die Grund- und Hauptschulen, wo wir 15 000 Schüler zusätzlich zu versorgen haben. Trotz der 370 neuen Lehrerplanstellen war es hier nötig, eine Unterrichts- stunde Heimat- und Sachkunde in der 4. Jahrgangsstufe zu streichen. Die 2. Maßnahme: 60 dann noch fehlende Planstellen mußten dadurch abgedeckt werden, daß der Differenzierte Sportunterricht (DSU) an der Hauptschule - insbesondere in den Jahrgangsstufen 7 bis 10 - rechnerisch um etwa 0,1 Stunden pro Klasse reduziert wird. Das bedeutet, daß von bisher 10 Stunden DSU künftig nur mehr 9 stattfinden. Wer hier schon zu jammern anfängt, sollte sich noch etwas Luft für die kommenden Jahre aufsparen!

Bayerisches Staatsministerium
für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst
Toni Schmid, Pressereferent