9. Oktober 1997

Kultusminister Zehetmair antwortet Weilheimer Elterninitiative:

"Für Klassenhöchstgrenze 25 wären allein in den Volksschulen 10 000 zusätzliche Lehrer nötig - dies kann niemand finanzieren" - "Zwei von fünf Beamten im Freistaat sind heute Lehrer"

In einem Schreiben an den Vorsitzenden der Weilheimer Elterninitiative "Aktion 25", Armin Promberger, hat Kultusminister Zehetmair zu den Forderungen der Eltern Stellung genommen. Er nehme alle Eltern ernst, die sich Sorgen um die schulische Bildung ihrer Kinder machen und sich für eine Verbesserung der Verhältnisse engagieren, versichert der Minister in dem Brief, warnt jedoch vor Streikandrohungen und Ultimaten. Schulstreik nütze niemandem, am wenigsten den Schülern: "Wer Kinder ernst nimmt, darf sie nicht als Waffe einsetzen." Das Schreiben im Wortlaut:

"Ich möchte gleich zu Beginn meines Briefes festhalten: Ich nehme alle Eltern ernst, die sich Sorgen um die schulische Bildung ihrer Kinder machen und die sich für eine Verbesserung der Verhältnisse engagieren. Ich halte aber eine Diskussion zum Thema "Bildungschancen" unter dem Diktat unrealistischer Termine für nicht sinnvoll.

Wie Sie wissen, steigen seit ca. 10 Jahren die Schülerzahlen. Die Gesamtmehrung - im Umfang nicht vorhersehbar, weil wesentlich verursacht durch die politischen Veränderungen im Osten Deutschlands und Europas - bis zum Schuljahr 1997/98 liegt bei ca. 217.000 Schülern, das ist eine Steigerung um 18 %. Die großen politischen Veränderungen in Deutschland und in Europa haben außerdem neue und zusätzliche finanzielle Herausforderungen ganz erheblicher Art mit sich gebracht. Die Bereitstellung von Haushaltsmitteln für den Schülerzuwachs und weiterer Mittel zur Verbesserung der Verhältnisse war in dieser Situation angesichts der finanziellen Realitäten nicht möglich. Die Schülerzahlen stiegen in allen - alten - Ländern der Bundesrepublik. Kein Land konnte in diesen Jahren die Unterrichtsversorgung verbessern; die zusätzlichen staatlichen Investitionen waren nach meiner Kenntnis aber in keinem Land so hoch wie in Bayern.

Lassen Sie mich dazu einige Fakten nennen: Für den hervorragenden Standard der bayerischen Ausbildung gibt der Freistaat so viel Geld aus wie nie zuvor. Seit 1970 haben sich die Ausgaben für die Schulen mehr als verfünffacht, seit 1980 nahezu verdoppelt. Wir zahlen für den Schulbereich jährlich fast 10 Mrd. DM. Zwei von fünf Beamten sind heute Lehrer! Trotz der extrem schwierigen Haushaltslage ist eine große Zahl an zusätzlichen Lehrern eingestellt worden - nachweislich mehr als in anderen Ländern.

Zu Ihrer konkreten Forderung "Aktion 25": Auch ich wünsche mir kleinere Klassen. Aber ich weiß als ehemaliger Lehrer - und viele Fachleute stimmen mir zu -, daß die Schülerzahl einer Klasse weder ein Garant noch ein Maßstab für eine gute Schule ist. Es gibt bis heute keine wissenschaftliche Untersuchung, die den Unterrichtserfolg wesentlich auf die Schülerzahl in der Klasse zurückführt. Untersuchungen besagen vielmehr, daß der Unterschied des Lernerfolgs bei Schülern kleiner und großer Klassen bei ansonsten gleichen Voraussetzungen unbeachtlich ist. Für den schulischen Erfolg sind vielmehr die gesamten Rahmenbedingungen wichtig, dazu zählen eine qualifizierte Aus- und Fortbildung der Lehrer, umfassende Stundentafeln, kind- und stoffgerechte Lehrpläne und eine zeitgemäße Ausstattung der Schulen mit Lehr- und Lernmitteln. In allen diesen Bereichen stehen die bayerischen Schulen hervorragend da. Ich bestreite nicht, daß auch die Schülerzahl Einfluß auf die Unterrichtsgestaltung hat, sie kann und darf jedoch nicht überbewertet werden.

Als Kultusminister werde ich alles tun, um die Schulverhältnisse positiv zu gestalten und ich werde mich auch weiterhin für mehr Planstellen einsetzen. Dabei gilt mein Augenmerk jedoch nicht nur den Klassenstärken, sondern auch der Rücknahme von Kürzungen im Unterrichtsangebot. Da in der Grundschule als erster Schulart ab dem Jahr 2000 die Schülerzahlen wieder sinken, habe ich bereits eine Korrektur der Stundentafel angekündigt. Auch für die anderen Schularten wird derzeit ein Konzept erarbeitet, wie einerseits die dort noch wachsenden Schülerzahlen bewältigt und andererseits konkrete Verbesserungen - etwa durch verpflichtende Arbeitszeitmodelle - erreicht werden können.

Die politische Glaubwürdigkeit gebietet es zu sagen, daß Ihr Ziel, keine Klasse über 25 zu bilden, nicht realisierbar ist. Bei der bestehenden Schulorganisation würde dieses Ziel z.B. allein etwa im Volksschulbereich gut 10.000 zusätzliche Lehrer verlangen. Dies kann niemand finanzieren. Letztlich geht es mir darum, die für den Flächenstaat Bayern besten schulischen Lernbedingungen zu schaffen. Dies schließt die Reduzierung der Klassenstärken mit ein, macht sie aber nicht zum ausschließlichen Ziel.

Ich versichere Ihnen, daß Ihr Anliegen einer Verbesserung der Schulverhältnisse ernst genommen wird. Um in einen Dialog einzutreten, halte ich allerdings Streikandrohungen und Ultimaten für keine geeigneten Mittel. Schulstreik nützt niemand, am wenigsten den Schülern. Wer Kinder ernst nimmt, darf sie nicht als Waffe einsetzen. Ein solches Vorgehen relativiert das Anliegen erheblich."

 

Bayerisches Staatsministerium
für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst
Toni Schmid, Pressereferent