23. April 1998

Arbeitsgemeinschaft der bayerischen Lehrerverbände und Kultusminister gemeinsam für Bildungsoffensive

In den vergangenen Monaten haben Staatsregierung und CSU-Landtagsfraktion gemeinsam eine Reihe von Initiativen gestartet mit dem Ziel, die Qualität unseres Schulwesens trotz steigender Schülerzahlen und schwieriger Haushaltslage zu sichern und innovativ weiterzuentwickeln.

Angesichts dieser Anstrengungen kann ich die aktuellen Aussagen und Forderungen eines Lehrerverbandes nur mit großer Verwunderung zur Kenntnis nehmen. Dass diese Vorstellungen keineswegs repräsentativ für die Lehrerschaft in Bayern sind, zeigt der heutige Tag: Alle in der abl zusammenarbeitenden Lehrerverbände wollen mit dieser gemeinsamen Pressekonferenz nicht nur das Planstellenkonzept der Staatsregierung unterstützen, sondern auch den vom BLLV geplanten Anschlag auf das gegliederte bayerische Schulwesen vereiteln.

Trotz aller bekannten Probleme nimmt das bayerische Schulwesen nach wie vor eine Spitzenstellung in Deutschland ein. Bekanntlich hatte die TIMS-Studie des Max-Planck-Instituts unter anderem zum Ergebnis, dass ein bayerisches Kind in der achten Jahrgangsstufe im Vergleich zu einem Altersgenossen in Nordrhein-Westfalen in Mathematik einen Leistungsvorsprung hat, der eineinhalb Schuljahren entspricht. Und der niedersächsische Innenminister und designierte Nachfolger von Ministerpräsident Gerhard Schröder, Gerhard Glogowski, hat erst letzte Woche erklärt: "Zieht ein bayerisches Kind hierher, muß es sich erstmal zwei Jahre hängenlassen, damit es das niedrige niedersächsische Niveau erreicht." (Zitat: Hannoversche Allgemeine vom 16. April, Braunschweiger Zeitung u.a.). Diesen Satz muss man sich auf der Zunge zergehen lassen angesichts der Tatsache, dass die SPD in Bayern ausgerechnet die Bildungspolitik zum Wahlkampfthema machen möchte. Der Unternehmensberater Roland Berger bezeichnet im neuen "Stern" Bayern und Baden-Württemberg als "die Top-Standorte in Deutschland". Zu den Gründen gehört seiner Meinung nach: "An den Schulen und Hochschulen der beiden Bundesländer wird nicht Gleichmacherei, sondern Leistung gefördert."

Zur Sicherung der Qualität des bayerischen Schulwesens und zu dessen positiver Weiterentwicklung bedarf es der Anstrengung aller Beteiligten. Wir brauchen leistungsbereite Schüler, motivierte und fortbildungswillige Lehrer, wir brauchen das Vertrauen und das Engagement der Eltern und eine Politik, die im Bildungsbereich auch finanzielle Prioritäten setzt und vernünftige inhaltliche Rahmenbedingungen schafft. Die finanziellen Prioritäten können wir vorweisen, ohne die von Herrn Dannhäuser gesammelten 14 000 Mark in Pfennigen mitrechnen zu müssen: Seit 1970 haben sich in Bayern die staatlichen Ausgaben für Bildung mehr als verfünffacht, seit 1980 nahezu verdoppelt. 30% des Gesamthaushalts entfallen auf Bildung, Wissenschaft und Kunst. Der Bildungsetat steigt in Bayern im Vergleich zum Gesamthaushalt überproportional an und war noch nie so hoch wie heute. Der Freistaat hat trotz der angespannten Haushaltslage von 1996 bis 1998 2000 neue Lehrerstellen geschaffen, während das SPD-regierte Niedersachsen im gleichen Zeitraum trotz ebenfalls steigender Schülerzahlen 1567 Lehrerstellen abgebaut hat. In Bayern wird weiterhin jede frei werdende Stelle neu besetzt.

Angesichts der steigenden Schülerzahlen hat die Staatsregierung auf meinen Vorschlag und mit erheblicher Unterstützung durch den Ministerpräsidenten nun ein Maßnahmenpaket beschlossen, das weitere Einschnitte im Unterrichtsangebot vermeidet und in vielen Bereichen Verbesserungen bringt. Im Rahmen dieser Bildungsoffensive wird Bayern als einziges Land der Bundesrepublik in den nächsten Jahren in großem Stil junge Lehrer zusätzlich einstellen (2500 bis zum Jahr 2002). Dafür stellt die Staatsregierung rund 500 Millionen DM zur Verfügung. Der Freistaat wird sich in den kommenden Jahren manches nicht leisten können, was wir gerne hätten, weil im Vorgriff jetzt alle Mittel für den Schulbereich festgelegt wurden. Bayern leistet damit einen unter den deutschen Ländern einmaligen Kraftakt, um den Qualitätsstandard trotz steigender Schülerzahlen zu sichern und vielen jungen Lehrern eine Zukunftsperspektive zu geben. Insgesamt - also Ersatzbedarf plus zusätzliche Einstellungen - werden wir in den nächsten fünf Jahren weit über 10 000 junge Lehrerinnen und Lehrer einstellen. Damit leisten wir nicht nur einen wichtigen arbeitsmarktpolitischen Beitrag, wir verhindern auch die vielfach befürchtete "Vergreisung" unser Lehrerkollegien. Vor allem aber verhindern wir größere Klassen, Unterrichtskürzungen und Arbeitszeitverlängerungen. Ich weiß, dass das verpflichtende Arbeitszeitkonto für die Lehrkräfte auch in diesem Kreis keinen Jubel auslöst. Ich möchte aber in diesem Zusammenhang betonen, dass das bayerische Modell im Vergleich mit dem anderer Länder, in denen diese Maßnahme beschlossen wurde, den Vorteil hat, dass es den Lehrkräften die geleistete Mehrarbeit in überschaubarer Zeit in Form von Freizeit zurückgibt.

Wer angesichts der finanziellen Anstrengungen der Staatsregierung von "unzureichenden Maßnahmen" und einem "Tropfen auf den heißen Stein" spricht, der hat den Bezug zur Realität verloren. Es bedarf einer sehr eingeschränkten Wahrnehmungsfähigkeit, wenn jemand behauptet, dass der Freistaat heute "zu Lasten der Kinder spart". "Sparen" würde ja bedeuten, dass man vorhandenes Geld bewusst zurücklegt. Ein Blick in die öffentlichen Haushalte sollte selbst einem Laien genügen, um festzustellen, dass davon nicht die Rede sein kann. Gespart wird in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes. Im Bildungsbereich sind wir finanziell in Vorleistung gegangen wie kein anderes Land in Deutschland. Vergleichbare Anstrengungen der SPD-regierten Kommunen wie München sind übrigens auch nicht zu verzeichnen - was ein bezeichnendes Licht auf die Forderungen der bayerischen SPD an die Staatsregierung wirft!

 

Das Konzept "Schulreform 2000" des BLLV ist ein Anschlag auf das differenzierte Schulsystem

Im offenen Affront gegenüber den anderen Lehrerverbänden versucht der BLLV jetzt mit seinem Alternativkonzept ASchulreform 2000" nicht nur einen laufenden (ergebnisoffenen) Schulversuch madig zu machen, der von Schülern, Eltern und Lehrern der Realschulen einhellig begrüßt wird, sondern will offensichtlich auch das bayerische Gymnasium in seiner jetzigen Form zerschlagen, eine Schulform, die weit über Bayern hinaus höchstes Ansehen genießt und in ihren Leistungen völlig unumstritten ist. Die geforderte Ausweitung der Grundschulzeit mag zwar der Volksschule höhere Schülerzahlen und damit mehr Lehrerstellen einbringen, ein künstliches Hinauszögern des Übertritts verhindert jedoch eine begabungsgerechte Förderung der Kinder und wäre deshalb pädagogisch nicht vertretbar. Es ist längst wissenschaftlich erwiesen, dass die Prognosesicherheit nach einer vierjährigen Grundschulzeit genauso hoch ist, wie zu einem späteren Zeitpunkt. Druck kann auf die Kinder in der Grundschule doch ohnehin nur entstehen, wenn die Eltern über die vielfältigen Möglichkeiten des differenzierten Schulsystems nicht ausreichend informiert sind und nur im Gymnasium den Königsweg sehen. Erst gestern rief ein Elternbeirat hier an, der sich über die Absichten des BLLV informiert hatte. Zitat: "Oh Gott, ich bin ja bereits `hessengeschädigt`, das muss ich nicht noch einmal haben."

Über die Köpfe der betroffenen Schüler, Lehrer und Eltern hinweg sollen die verbandspolitischen Forderungen des BLLV durchgesetzt werden, die letztlich auf eine Einheitsschule hinauslaufen und alle Bemühungen um differenzierte Förderung zur Makulatur machen würden. Dass ein Lehrerverband, der auch die Interessen der Hauptschullehrer vertritt, den Elternwillen zum einzigen Übertrittskriterium machen will, entbehrt dabei nicht einer gewissen (unfreiwilligen) Komik. Fraglich ist deshalb, ob überhaupt die Mehrzahl der Mitglieder des BLLV die Pläne ihres Präsidenten unterstützen. Ich hoffe, dass auch die Eltern in Bayern erkennen, dass der BLLV mit seiner Aktion "Bildungspfennig" nicht nur "Mehr Geld für Bildung" im Auge hat - eine Forderung, die angesichts der Bildungsoffensive der Staatsregierung ohnehin obsolet geworden sein sollte - , sondern viel weitreichendere Interessen, für die er jetzt die Öffentlichkeit einzuspannen versucht. Dabei schreckt er auch vor gezielter Desinformation nicht zurück. Nennen möchte ich hier nur die angebliche "Einsparung" von Lehrkräften. In Bayern wird keine einzige Lehrerstelle "eingespart", das weiß auch Herr Dannhäuser. Die stark wachsenden Schülerzahlen können lediglich nicht allein mit einer entsprechenden Zahl zusätzlicher (!) Lehrerstellen aufgefangen werden. Ganz grundsätzlich möchte ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass alle Berechnungen zu Verschlechterungen der Unterrichtssituation in Bayern auf der irrigen Annahme beruhen, die - auch demographisch bedingten - vergleichsweise günstigen Bedingungen Ende der 80er Jahre seien ein Naturgesetz, von dem nicht mehr abgewichen werden dürfe. Mit dem gleichen Recht kann man die Verhältnisse Ende der 70er Jahre als Beleg dafür nehmen, dass sich die Unterrichtsversorgung seither deutlich verbessert hat. Die damalige Situation war unter demographischen Gesichtspunkten nämlich wesentlich eher vergleichbar.

 

Die Bildungsoffensive der Staatsregierung geht weiter

Erst kürzlich habe ich der Öffentlichkeit ein Eckpunktepapier zur inhaltlichen und strukturellen Weiterentwicklung des bayerischen Schulsystems vorgestellt. In der nächsten Woche wird es auf einem Bildungskongress, zu dem ich die anwesenden Vertreter der Medien hiermit persönlich einlade, aus der Sicht der Schulpraxis, der Erziehungswissenschaften und der Politik im Hinblick auf konkrete Möglichkeiten, Wege und Maßnahmen der Umsetzung diskutiert werden. Ergebnis wird dann ein Gesamtkonzept für die zukünftige Gestaltung der Schule in Bayern sein. Das Eckpunktepapier ruht auf fünf Säulen:

- Begabungsgerechtes Fordern und Fördern durch Differenzierung

- Erweiterung des Unterrichtskonzepts - mehr wissen, mehr können

- Stärkung der schulischen Erziehungsleistung

- Motivation und Kompetenz der Lehrer

- Schulentwicklung und Qualitätssicherung

Vorgesehen ist unter anderem eine stärkere Konzentration der Lehrpläne auf zentrale Bildungsinhalte, die stärkere Betonung von Fremdsprachen, eine intensivere Zusammenarbeit mit den Betrieben schon während der Schulzeit, eine verstärkte Nutzung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien an den Schule, eine stärkere Profilbildung der einzelnen Schularten, eine verstärkte Zusammenarbeit der Schule mit den Eltern, ein praxisnäheres Lehramtsstudium, eine Fortbildungsoffensive für Schulleiter und mehr Freiräume für die einzelne Schule.

In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, dass die Bildungsoffensive der Staatsregierung sich nicht nur auf den Schulbereich beschränkt. Genauso wie die Reform des Schulwesens steht auch die geplante Hochschulreform unter dem Vorzeichen der Deregulierung und will Kompetenzen von oben nach unten verlagern.

Bei der Weiterentwicklung des Schulwesens möchte ich in diesem Rahmen die Rolle der Lehrer besonders betonen. Ohne ihre Solidarität und die Bereitschaft, sich fortzubilden und verstärkt einzubringen, lassen sich die anstehenden Reformen nicht umsetzen. Deshalb bitte ich sie noch einmal um Verständnis für die Einführung eines Arbeitszeitkontos. Die Flexibilisierung der Arbeitszeit ist in der Wirtschaft eine Selbstverständlichkeit. Wenn viel Arbeit anfällt, wird mehr gearbeitet. Die Mehrarbeit wird durch Freizeit vergütet, wenn weniger Arbeit vorhanden ist. Nichts anderes, nur in sehr viel geringerem Umfang soll nun auch an den Schulen geschehen. Drei Jahre lang sollen die Lehrer eine Stunde in der Woche mehr unterrichten, dafür können sie weitere drei Jahre später genauso lange eine Wochenstunde weniger halten. Die Arbeitszeitkonten anderer Länder in Deutschland sind weniger lehrerfreundlich. In der beschlossenen Form halte ich unser Arbeitszeitkonto angesichts der realistischen Alternativen für vertretbar.

Ich freue mich, dass die in der abl zusammengeschlossenen Lehrerverbände bei allen, ganz natürlichen Differenzen, die sich aus der jeweiligen Aufgabenstellung ergeben, - auch durch die Anwesenheit ihrer Vorsitzenden heute - ihre Bereitschaft dokumentieren, die Bildungsoffensive der Staatsregierung zu unterstützen. Der vom BLLV beabsichtigten "Schulreform 2000" werden wir uns im Interesse der Kinder und Jugendlichen in Bayern gemeinsam entgegenstellen.

 

Bayerisches Staatsministerium
für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst
Toni Schmid, Pressereferent