AVISO 02/23

Philosophisches Aperçu – Kulturvermittlung – cui bono? Kultur und ihre Vermittlung als ethische Herausforderung in der digitalen Transformation Künstliche Intelligenz malt, komponiert, dichtet. Sie scheint den schaffenden Kulturmenschen obsolet zu machen. Diese Meinung ist populär, nichtsdestoweniger problematisch: Denn ohne Kul- tur verliert der Mensch das, was ihn zum Menschen macht – die conditio humana . Und diese steht besonders im Zuge der digitalen Transformation auf dem Prüfstand. Um das verstehen zu können, muss geklärt werden, was Kultur ist, um sie von einem engen Kunstbegriff zu unterscheiden. In der hellenistischen und römischen Antike ist »Kultur« Pflege und das imdoppelten Sinne: Pflege des Feldes (Anbau) und Pflege der Götter (Kult).Wie aber gehen diese zusammen? Beide sind konstituierende Elemente einer sesshaften Gesellschaft. Erst der Ackerbau schafft in archaischenGruppen die Voraussetzungen dafür, über gesicherte Nahrungsreserven zu verfügen, erst die gemeinsamenGötter bilden die Grundlage ihres sozialen Gefüges. In der Folge entwickeln dar- aus die sesshaft gewordenen Gemeinschaften jenen Freiraum, der sie von der Notwendigkeit permanenter Nahrungssuche enthebt und zu dem befähigt, was über das unmittelbar Lebensnotwendige hinaus erschaffenwird – die Kultur. DurchKultur transzendiert der Mensch dieNatur: Er kann (teilweise) die naturgebundenen Fesseln abstreifen. Die Hierarchie des Kulturellen über die Natur verleiht dem Menschen eine Mächtigkeit, doch diese Befreiung des Men- schen geht mit der Unterwerfung der Natur einher. Deswegen steht das anthropozäne Weltbild unter gewaltigem Druck: Befreiung sollte nicht mit der Unterwerfung anderen Lebens einhergehen. Der kurze historische Exkurs zeigt: Es ist die Kultur, die unsere hochmoderne, digitale Gesellschaft entstehen lässt. Nicht zufällig bringen wir deshalb Kultur mit allem in Verbindung, was unsere Gesellschaft auszeichnet –Esskultur, Sprachkultur, politische oder digitale Kultur. Dabei lässt sich unsere Gesellschaft als Kultur imKern als gegen- seitige Erwartungshaltungen begreifen. Nur wer die Kultur einer Gesellschaft versteht, versteht das, was diese Gesellschaft im In- nersten zusammenhält. Nämlich ihre gegenseitigen Anforderungs- Philosophisches Aperçu Niina Zuber und Dorothea Winter 49

RkJQdWJsaXNoZXIy OTA1OTMz