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aviso 3 | 2015
RAUBKUNST UND RESTITUTION
COLLOQUIUM
serschäden teils welliges Papier, ein stark verschmutzter Buchblock, der Buchrücken abgerissen und Vor-
der- undHinterdeckel irreparabel beschädigt. Mit der Wiederherstellung der Benutzbarkeit des Werkes
setzte dann auch eine erste wissenschaftliche Beschäftigung mit der Handschrift ein, die rasch zu der
Vermutung führte, dass ihr Ursprung nicht in Deutschland, sondern in Polen zu suchen sei.
DIE BAYERISCHE STAATSBIBLIOTHEK
erstellte daher 1977 einen Mikrofilm des Werkes und sandte
diesen an das Priesterseminar der polnischen Diözese Płock. Hier gelang demTheologen Antoni Podle´s,
der die Handschrift zum Thema seiner 1986 erschienenen Dissertation machte, die eindeutige Identi-
fizierung des Buches: Es handelt sich um das sogenannte »Pontifikale von Płock«, das im Jahr 1941
zusammen mit der gesamten Bibliothek des Płocker Priesterseminars von den Nationalsozialisten
beschlagnahmt und offenbar an die Staats- und Universitätsbibliothek Königsberg verbracht worden
war. Was nach dem Krieg mit dem Płocker Pontifikale geschah, ist nicht bekannt.
Die Identifikation des Werkes als das Pontifikale von Płock gab der Handschrift eine völlig neue kultur-
geschichtliche wie auch politische Bedeutung. Kulturgeschichtlich stellt sich die Handschrift nach der
Identifikation ihres Ursprungs als ein einzigartiges Dokument der polnischen Geschichte dar, dem ein
in Zahlen nicht fassbarer ideeller Wert zukommt. Es handelt sich um das einzige vollständige mittel-
alterliche Pontifikale, das für zahlreiche der in ihm beschriebenen Riten und liturgischen Handlungen
den ersten Beleg auf polnischem Boden bringt. Das Werk ist damit für die gesamte Kirchen- und Kul-
turgeschichte Polens von erstrangiger Bedeutung.
Die Handschrift: NS-Raubgut
Die kulturgeschichtliche Neubewertung der Handschrift ist untrennbar mit der politischen Neubewertung
der Geschichte ihrer Erwerbung durch die Bayerische Staatsbibliothek verbunden: Obwohl von der Bib-
liothek formal rechtmäßig und auch im juristischen Sinne »gutgläubig« erworben, war mit demAnkauf
der Handschrift ein Buch in den Bestand gelangt, das 1941 von den Nationalsozialisten beschlagnahmt
und nach demKrieg nicht seinem rechtmäßigen Besitzer, demBistumPłock, zurückerstattet worden war.
linke Seite
Presse-
gespräch am 13. April
in München mit
(von links nach rechts)
Generaldirektor Dr.
Klaus Ceynowa,
Generalkonsulin Justyna
Lewan´ska und Staats-
minister Dr. Ludwig
Spaenle.
links
Beispielseite aus
dem Pontifikale von
Płock.
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