aviso 3 | 2014
Bayern-Südtirol
Colloquium
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Mit der Karikatur
»Zwischen Scylla und Charybdis« hat
Leo Putz 1905 wie nebenbei eines der markantesten Selbst-
porträts der Moderne geliefert: Während er gerade mit der
rechten Hand das Ölgemälde einer schönen Frau fertigstellt,
die ein überschäumendes Champagnerglas hebt und sich ihm
verführerisch zuwendet, ist hinter seinem Rücken die linke
damit beschäftigt, eine Illustration zu aquarellieren, die er-
kennbar als Titelbild für die stilprägende Zeitschrift »Jugend«
gedacht ist. Putz zitiert hier ein Titelblatt der Zeitschrift, das er
tatsächlich für das Heft Nr. 7 vom 11.2.1903 angefertigt hatte.
Hin- und hergerissen zwischen Leinwand und Karton, kann
das Alter Ego von Leo Putz sich umso weniger entscheiden,
als aus dem Gemälde heraus die schöne Frau einen Arm um
seine Schulter legt, um ihn für immer an sich zu ziehen, wäh-
rend die Redaktion der »Jugend« inzwischen schon das fünfte
Telegramm abgeschickt haben dürfte, um die Lieferung des
zugesagten Titelblattes anzumahnen. Eine Schnecke neben
dem Tuschkasten lässt freilich das Schlimmste befürchten.
Denn die verführerische
Frau, das erfährt der Leser der
»Jugend« imText zum »Selbstbildniß« von Putz, wird gewin-
nen, und in der Tat waren dessen Frauenporträts und Akte
so schmackhaft inkarniert und duftig ausgeleuchtet, dass er
damit großen Erfolg in der prüden Kaiserzeit hatte und man-
cher Sammler sich gewünscht haben dürfte, der Pygmalion-
Mythos möge sich, wie hier für denMaler, auf der Stelle auch
für den Betrachter erfüllen.
Leo Putz als Maler
Wie der nur wenige Jahre ältere Franz von Stuck hatte Leo
Putz das unwiderstehliche Skandalisierungspotenzial der
Erotik für sich entdeckt, und wie dieser nutzte er auch die
mythologische Tarnung, um drastischere Szenen zu riskie-
ren, die von der besorgten Jury zuverlässig des Glaspalastes
verwiesen wurden. Das wiederum galt weniger bornierten
Kunstsammlern erfahrungsgemäß als Empfehlung – kurz:
Putz war als moderner Maler erfolgreich.
Zwischen Alpengenre und
Zeitschriften-Karikatur
Text:
Walter Grasskamp
und
Caroline Sternberg
Der 1869 in
Meran geborene Putz gehörte zu den vielen Tiro
lern, die es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an die
Kunstakademie inMünchen gezogen hatte. Sein Studiumhatte
er in der Klasse von Gabriel von Hackl begonnen und bei
demheute fast vergessenen, damals sehr einflussreichen Paul
Höcker abgeschlossen. Dort lernte Putz die Bildsprache eines
leuchtenden Kolorismus und die Kniffe der Freilichtmalerei,
denn genau hier lag, nach der Analyse von Birgit Jooss, das
Zentrum des »Deutschen Impressionismus«, bevor es sich
nach Berlin verzog.
Franz von Defregger und das alpenländische Genre
Die Laufbahn von Putz ist allerdings nicht exemplarisch für
die Karrieren der anderen Tiroler Künstler, die in der zwei-
ten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach München kamen. Fast
alle begannen mit dem Studium an der Kunstakademie, ein
Teil legte sich dann aber, durch die Herkunft prädestiniert,
auf das alpenländische Genre fest.
Der aus einer
Tiroler Bauernfamilie stammende Franz von
Defregger ist unter ihnen der Bekannteste geblieben, denn er
absolvierte in der Kunststadt eine beachtliche Karriere. Nach-
dem er 1860 von seinemLandsmann, dem in Innsbruck ansäs-
sigen Bildhauer Michael Stolz, dem damals renommiertesten
Professor der Akademie, Karl von Piloty, vorgestellt worden
war, begann Defregger in der Antikenklasse der Akademie
und trat 1867 schließlich sogar in die Klasse des äußerst wäh-
lerischen Piloty ein.
BeimMünchner Publikum rasch bekannt und beliebt, wurde
Defregger mit größeren Aufträgen ausgezeichnet und im
Jahr 1878 selber zum Professor einer Komponierklasse an
der Münchner Akademie berufen, die er bis 1910 leitete. Mit
Darstellungen Tirols und seiner Geschichte wurde Defreg-
ger zusammen mit seinen Landsleuten Mathias Schmid und
Alois Gabl, die ebenfalls um die Mitte des 19. Jahrhunderts
die Akademie absolviert hatten, als das »Tiroler Kleeblatt«
bekannt.
Leo Putz und die Tiroler Künstler in München