aviso - Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern - page 8-9

aviso 2 | 2014
QUINTENSPRÜNGE
bayerns verborgene schätze
aviso 2 | 2014
QUINTENSPRÜNGE
bayerns verborgene schätze
© Dr. Volker Hartmann | Wehrpathologische und Wehrgeschichtliche Lehrsammlung der Sanitätsakademie der Bundeswehr
|8|
Krieg, Trauma und Medizin
Die Wehrgeschichtlichen und Wehrpathologischen Lehrsammlungen
des Sanitätsdienstes der Bundeswehr in München
Text:
Volker Hartmann
|9 |
Hundert Jahre nach Beginn des Ersten Weltkrieges sind die verheerenden Verlet-
zungen dieses Krieges an Leib und Seele noch immer im öffentlichen Bewusstsein
präsent – durch Fotodokumente, aber auch durch die Bilder eines Otto Dix oder
Georg Grosz. Ein Heer von Kriegsversehrten, Blinden, Amputierten und Verstüm-
melten kehrte in die Heimat zurück, auch nach Bayern. Weniger bekannt ist, dass
aus medizinhistorischer Sicht das Überleben dieser Soldaten als großer Fortschritt
zu betrachten ist. Wären viele von ihnen in früheren Kriegen am Wundbrand
gestorben oder einfach auf dem Schlachtfeld verblutet, so stand zum erstenMal in
der Kriegsgeschichte 1914 ein durchorganisiertes Sanitätswesen zur Versorgung
der Verwundeten bereit. So konnten viele Leben gerettet werden.
Einen starken Eindruck der Schrecken des Ersten Weltkrieges, aber auch der
sanitätsdienstlichen Bemühungen um Lebensrettung während dieses Krieges
erhält der Besucher der Wehrgeschichtlichen undWehrpathologischen Lehrsamm-
lungen des Sanitätsdienstes der Bundeswehr im Norden Münchens.
Die Wehrpathologische Lehrsammlung mit über 3000 pathologischen und anato­
mischen Ausstellungsstücken ist eine der größten derartigen Kollektionen und
zeigt ein breites Spektrum an Krankheits- und Verletzungsbildern aus der Zeit
des I. Weltkriegs bis heute. Gezeigt werden neben erkrankten und missgebilde-
ten Organen v. a. Stich-, Hieb- und Schussverletzungen sowie die Einwirkungen
von Granat- und Minensplittern wie auch chemischen Waffen auf Organe und
Skelettteile. Der Besucher wird beispielsweise konfrontiert mit einer Sammlung
von Schädeln, in denen teilweise noch das Schrapnell steckt oder von Geschossen
zerfetzten Organen und Extremitäten. Sie wurden Gefallenen bei Feldsektionen
entnommen, präpariert und haben sich bis heute erhalten.
Dr. Volker Hartmann
ist Flottenarzt an
der Sanitätsakademie der Bundeswehr in
München.
In räumlichem und organisatorischem Zusammenhang steht die Wehrgeschicht­
liche Lehrsammlung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, die seit über 40 Jahren
an der Münchner Sanitätsakademie der Bundeswehr besteht. Sie stellt mittler­
weile die größte Institution dar, die sich mit der Geschichte der Wehr- und
Militärmedizin im deutschsprachigen Raum beschäftigt.
Zusammengetragen wurde eine Vielzahl von musealen Gegenständen mit Bezug
zur Geschichte des Sanitätsdienstes, die sich nicht nur auf humanmedizinisches
Gebiet beschränken, sondern auch Zahn- und Veterinärmedizin wie auch das
Apothekenwesen in deutschen Streitkräften umfassen.
Gezeigt werden Operationseinrichtungen, wie der OP-Tisch des Schulschiffes
»Deutschland«, bis hin zu kompletten Röntgen-Einrichtungen, z. B. aus der
Maginot-Linie, zahlreiches chirurgisches Besteck unterschiedlichster Epochen,
Arzt- und Sanitätstaschen, Medikamente und Verbandstoffe, Tragen, Mikroskope,
Trinkwasseraufbereitungsanlagen, Sanitätsschränke und vieles mehr.
In den Magazinen und Ausstellungsräumen werden zudem Uniformen, Helme,
Auszeichnungen, Waffen und Ausrüstungsgegenstände von Sanitätsoffizieren
und -soldaten verschiedener deutscher Armeen aufbewahrt.
Neben solchen Ausstellungstücken umfasst die Wehrgeschichtliche Lehrsamm-
lung auch Tausende von antiquarischen Büchern, Vorschriften, Manuskripten,
Tagebuchaufzeichnungen und Fotografien mit sanitätsdienstlichem Bezug. Die-
ser unerschöpfliche Quellenbestand steht heute und in der Zukunft Historikern,
Doktoranden und Forschern zur Aufarbeitung zur Verfügung.
In den letzten Jahren ist die fachliche
Zusammenarbeit zwischen der Wehr-
geschichtlichen Lehrsammlung und
Museen, anderen militärhistorischen
Lehr- und Studiensammlungen der Bun-
deswehr sowie einschlägigen Einrich-
tungen außerhalb der Bundeswehr sehr
intensiviert worden. Im Sommer 2008
konnten Kontakte nach Frankreich,
zum Pariser »Val de Grace«, geknüpft
werden, im März 2009 zum Heeresge-
schichtlichen Museum in Wien, 2010
zumKriegsmuseumRovereto und 2011
zum Kaiserjägermuseum in Innsbruck.
Mittlerweile finden sich immer wieder
Exponate der Sammlung in anderen
herausragenden Sonder- und Dauer-
ausstellungen in Deutschland, sogar das
renommierte CanadianWar Museum in
Ottawa (Kanada) forderte 2011 Ausstel-
lungstücke an.
Die Sammlung versteht die Entwick-
lung der (Militär)-Medizin nicht nur
als evolutionären Prozess, der an Hand
steter Weiterentwicklung sanitätsdienst-
licher Technik gezeigt wird. Vor allem
will sie den Gegensatz, aber auch das
Miteinander von Militär und Medizin
verdeutlichen. Schwerpunkte der Aus-
stellung sind die Entstehung des deut-
schenMilitärsanitätswesens Anfang des
19. Jahrhunderts, über die Zeit der bei-
den Weltkriege bis hin zu den sanitäts-
dienstlichen Besonderheiten in der NVA
und frühen Bundeswehr. Der Rundgang
schließt mit Hinweisen auf das Zeitalter
der UN-Einsätze und des Beginns der
Einsatzmedizin.
Beide Sammlungen dienen in erster
Linie der Ausbildung von Sanitätsoffi­
zieren, von Sanitätsunteroffizieren und
des medizinisch-technischen Assistenz-
personals, stehen aber interessierten
Besuchern nach Voranmeldung und
Genehmigung durch die Sanitätsakade-
mie der Bundeswehr offen.
oben links
Schädelverletzung durch Infanterie-
geschoss aus 400 m Entfernung.
daneben
Oberschenkeltrümmerfraktur
nach Granatsplitter.
oben rechts
Preußischer Feldlazarett-
Sanitätswagen aus dem Jahr 1867.
darunter
Sektionsgut einer schweren Oberschenkel-
verletzung nach Granatsplitter.
1,2-3,4-5,6-7 10-11,12-13,14-15,16-17,18-19,20-21,22-23,24-25,26-27,28-29,...52
Powered by FlippingBook